Azubis gesucht

Für junge Menschen mit besonderem Förderbedarf ist Einstiegsqualifizierung das Zauberwort – bei Siemens in Düsseldorf ein fester Begriff

Text: Gesa van der Meyden, Fotos: Siemens AG

Ein Schulungsraum in der Düsseldorfer Niederlassung des Konzerns Siemens: Fünf junge Männer stehen vor der Aufgabe, einen Draht in einer vorgegebenen Form zu biegen. Sie haben dafür fünf Minuten Zeit – und die verraten Guido Mandorf, Schulleiter des Siemens-Berufskollegs, schon fast alles, was er wissen muss. „Bei der Übung geht es vor allem darum, die Motivation der Bewerber zu testen. Wer nach 30 Sekunden fertig ist und wenig Einsatz zeigt, den Draht auch in der richtigen Weise zu biegen, wird eher nicht bei uns anfangen“, sagt der Ausbildungsbetreuer beim Mischkonzern mit Schwerpunkt auf Elektrotechnik. Wer sich allerdings Mühe gibt, die Zeit ausschöpft, um ein möglichst gutes Ergebnis zu erzielen, hat die Chance, einen wichtigen Schritt Richtung Ausbildung zu gehen. Dieser Weg war den Kandidaten bislang aus unterschiedlichen Gründen verwehrt.

Neue Chancen eröffnen

Das Angebot von Siemens, eine Einstiegsqualifizierung (EQ) zu durchlaufen, richtet sich an jene, die auf herkömmlichem Weg keinen Ausbildungsplatz gefunden haben. Bis zu diesem Jahr konnten sich ausschließlich Geflüchtete bewerben. Nun dürfen sich alle vorstellen, die einen besonderen Förderbedarf haben, sei es durch schulische Lücken oder einen schwierigen familiären Hintergrund. „Die Einstiegsqualifizierung ist ein mindestens sechsmonatiges Programm, in dem die Teilnehmer an die Aufgaben der eigentlichen Ausbildung herangeführt werden. Sie arbeiten in Vollzeit, gehen zur Berufsschule und erhalten eine Aufwandsentschädigung in Höhe von 370 Euro. Ziel ist es, sie so gut vorzubereiten, dass sie im Anschluss eine reguläre Ausbildung beginnen können. Die Zeit der EQ können sie auf ihre Ausbildung anrechnen lassen“, sagt Rachid El Mellah, Ausbildungsberater und Willkommenslotse im Bereich Berufsmarketing und -projekte bei der IHK Düsseldorf.

„Wir haben seit 2015 sehr gute Erfahrungen mit der EQ gemacht“

Rachid El Mellah, IHK Düsseldorf

Die IHK sucht gemeinsam mit der Agentur für Arbeit passende Bewerber aus. Neben den besonderen Förderkriterien müssen die Kandidaten einige formale Anforderungen erfüllen. Dazu gehört, dass sie einen gesicherten Aufenthaltsstatus haben und ihr Deutsch mindestens dem Sprachniveau B1, besser noch B2 entspricht. „Wir haben seit 2015 sehr gute Erfahrungen mit der EQ gemacht. Bei Siemens lag die Übernahmequote in ein reguläres Ausbildungsverhältnis jedes Jahr bei mindestens 50 Prozent. Doch auch wer nicht direkt eingestellt wird, hat dank der EQ gute Chancen. Er erhält ein Zeugnis mit IHK-Zertifikat und kann sich bei anderen Unternehmen bewerben“, sagt El Mellah, der den Bewerbern beratend zur Seite steht.

„Kultur des gegenseitigen Verständnisses fördern“

Dank ihres halbjährigen Praktikums sind die Kandidaten vertraut mit den Abläufen in einem Betrieb, haben Kenntnisse in EDV und dank Berufsschule auch eine fundiertere Allgemeinbildung. Das Deutsch der Nicht-Muttersprachler hat sich erheblich verbessert. „Ob sie dann bei einem anderen Unternehmen anfangen oder einen höheren Schulabschluss anstreben, in beiden Fällen hat sie die EQ entscheidend weitergebracht. Letztlich konnten wir dank des Programms seit 2016 mehr als 90 Prozent der Teilnehmer erfolgreich in Ausbildung vermitteln“, sagt der Willkommenslotse. So erging es auch Abdulrahman Almanoufi. Der 26-jährige Syrer erfuhr vor drei Jahren von der Vermittlerin seiner Arbeitsagentur, dass Siemens eine Einstiegsqualifizierung anbietet. Die Motivation dazu entstand laut Guido Mandorf im Jahr 2015 auf dem Gipfel der Flüchtlingskrise. „Wir wollten unserer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht werden und den jungen Geflüchteten eine Chance bieten. Darum haben wir uns für die Einführung der EQ entschieden und jedes Jahr sehr positive Erfahrungen gemacht. Auch wir als Unternehmen profitieren, da wir eine Kultur des gegenseitigen Verständnisses fördern, unbewusste Vorurteile abbauen und durch das Engagement das Zusammengehörigkeitsgefühl der Mitarbeitenden stärken.“

Abdulrahman Almanoufi bekam durch die Einstiegsqualifizierung die Chance auf einen Ausbildungsplatz bei Siemens. Heute steht er kurz vor dem Abschluss. Foto: Paul Esser

Der Wille ist entscheidend

Als der Ausbilder Abdulrahman Almanoufi kennenlernte, spürte er sofort, dass da einer vorwärtskommen will. „Die EQ-Maßnahme war eine große Chance für mich, mehrere Berufe im technischen Bereich kennenzulernen und eine bedeutende Bereicherung für meinen Lebenslauf. Im Rückblick auf die vergangenen Jahre, die ich bei Siemens verbracht habe, war es deshalb die richtige Entscheidung, weil ich bei Siemens sowohl in der EQ-Maßnahme als auch in der Ausbildung vieles, unter anderem fachübergreifendes gelernt habe und sehr gut und intensiv auf meine Prüfungen vorbereitet wurde. Zudem fühle ich mich auf dem Arbeitsmarkt sehr gut aufgestellt“, sagt Almanoufi, der nun kurz vor dem Abschluss seiner Ausbildung zum Elektroniker für Automatisierungstechnik steht. Danach wird er fest bei Siemens anfangen. Angesichts der positiven Bilanz der vergangenen Jahre wird auch die Förderklasse des Jahres 2021, die am 1. Februar beginnt, einige Kandidaten hervorbringen, die wie Abdulrahman Almanoufi trotz schwieriger Vorzeichen auf dem deutschen Arbeitsmarkt Fuß fassen und damit einen zentralen Schritt gehen, um in der Mitte der Gesellschaft anzukommen. Gerade bei Siemens sei ein technischer Hintergrund bei den Bewerbern natürlich von Vorteil, sagt Guido Mandorf, aber kein Muss. Wichtiger sei zu zeigen, dass sie wollen. Ob das so ist, lässt sich oft schon an einem einfachen Stück Draht erkennen.

Weitere Informationen zum Thema Einstiegsqualifizierung gibt es im Internetauftritt der IHK Düsseldorf. Ansprechpartnerin ist Sabine Agreiter, Telefon 0211 3557-435.

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