Digitale Nomaden

Sie arbeiten dort, wo andere Urlaub machen. Jennifer und Christian Juraschek aus Ratingen verdienen ihr Geld ausschließlich online. Im Interview spricht das Paar über sein Leben.

digitale Nomaden
Jennifer und Christian Juraschek bei der Arbeit in einem Coworking Caffee auf Bali.

IHK Quarterly: Ein schattiges Plätzchen unter Palmen, Meeresrauschen und den Laptop auf den Knien – das ist wohl die gängige Vorstellung vom Arbeitsalltag für digitale Nomaden. Wie viel hat das mit der Realität zu tun?

Christian Juraschek: Während wir diese Fragen beantworten, liegt tatsächlich der Laptop auf den Knien, die Palmen sind in Sichtweite und wir hören die Wellen rauschen. Aber das ist natürlich nicht immer so. Es gibt auch Phasen, in denen wir uns bewusst zurückziehen und im stillen Kämmerlein mit maximalem Fokus arbeiten.

Wie muss man sich Ihren Arbeitsalltag vorstellen? Womit bestreiten Sie Ihren Lebensunterhalt?

C.J.: In der Regel arbeiten wir an fünf Tagen in der Woche, die sind flexibel und fallen manchmal auch auf einen Samstag oder Sonntag. Unseren Lebensunterhalt verdienen wir komplett online. Wir betreiben mehrere Webseiten, die überwiegend durch Werbeschaltungen, Affiliate Marketing und eigene, digitale Produkte wie E-Book-Reiseführer oder Online-Kurse Geld einbringen. Unsere größte Webseite ist unser Reiseblog unaufschiebbar.de, auf dem wir auch über das ortsunabhängige Arbeiten berichten.

Arbeiten Sie mehr oder weniger als früher?

Jennifer Juraschek: Als wir Mitte 2017 als digitale Nomaden gestartet sind, haben wir ungefähr so viel gearbeitet wie in der Festanstellung, teilweise sogar ein wenig mehr. In der Regel waren es acht bis zehn Stunden pro Tag. 2019 kam unser Sohn Louis zur Welt, seitdem treten wir etwas kürzer.


Sie beide kennen sich seit der Schulzeit, haben BWL studiert und gut bezahlte Jobs in großen Konzernen aufgegeben, um reisen und ortsunabhängig arbeiten zu können. Was sind die Vorteile?

J.J.: Der größte Vorteil ist die Selbstbestimmtheit. Wir können jederzeit selbst entscheiden, wann und wo wir arbeiten möchten. Das macht uns sehr flexibel und gibt uns ein großes Freiheitsgefühl. Früher mussten wir alles mit Vorgesetzten, Kollegen und anderen Abteilungen abstimmen. Bis zur Umsetzung einer Idee vergingen oft Wochen mit etlichen E-Mails und Meetings. Wenn wir heute eine Idee haben, sprechen wir kurz miteinander und setzen sie oft noch am gleichen Tag um. Das, was wir tun, tun wir mit Spaß und viel Leidenschaft.

Und ganz nebenbei lernen Sie noch die Welt kennen …

C.J.: Auch das ist ein Vorteil. Unser Lebensstil bietet viel Abwechslung und eine hohe Freizeitqualität. Wir lernen fast täglich neue Orte, Landschaften und Menschen kennen, erhalten Einblick in andere Kulturen und Lebensmodelle. So können wir auch unserem Sohn viel bieten. Er wächst übrigens zweisprachig auf, weil wir in den letzten Monaten viel Zeit in Spanien verbracht haben.

Gibt es auch Nachteile?

C.J.: Aus unserer Sicht gibt es nur einen Nachteil, der aber viel Gewicht hat: Wir sehen unsere Familie und Freunde seltener als früher. Videochats und Handy-Nachrichten können persönliche Treffen nicht ersetzen, deshalb sind wir ein- bis zweimal pro Jahr für mehrere Wochen in der Heimat oder treffen sie auf Reisen. Leider kommt nicht jeder damit zurecht, dass wir unser Leben anders gestalten. Manche Freundschaften sind auseinandergegangen.

Sie haben nach wie vor einen Wohn- und Firmensitz in Ratingen. Warum?

J.J.: Wir haben in der Heimat keine Auftraggeber oder Großkunden. Die User, die monatlich unseren Reiseblog aufrufen, stammen aus der ganzen Welt. Auch steuerlich betrachtet wäre es für uns günstiger, ein Unternehmen im Ausland zu gründen. Aber wir besuchen weiterhin regelmäßig unsere Familie und Freunde in Deutschland, darum möchten wir diese Verbindung zur Heimat nicht kappen.


Spielt auch das Thema Sicherheit eine Rolle?

J.J.: Natürlich. Wir haben am eigenen Leib erfahren, wie wichtig eine gute Gesundheitsversorgung ist. Nach einem schweren Unfall in Thailand Ende 2017 mussten wir viele Wochen in Krankenhäusern und Rehazentren verbringen. Obwohl die gesundheitliche Versorgung in Thailand exzellent war, haben wir gemerkt, dass sprachliche Feinheiten und der Austausch mit Ärzten in der Muttersprache im Ernstfall von großer Bedeutung sind. Deshalb möchten wir Teil des deutschen Gesundheitssystems bleiben und unsere Versicherungen nicht aufgeben.

Gerade jungen Menschen ist die richtige Balance zwischen Arbeit und Privatleben wichtiger als Geld und Karriere. Sie wünschen sich, frei, selbstbestimmt und flexibel arbeiten zu können. Sind digitale Nomaden also die Zukunft der Arbeit?

C.J.: Ja. Vielleicht möchte nicht jeder als digitaler Nomade die Welt bereisen, aber flexible Arbeitsmodelle mit Homeoffice beziehungsweise einem frei wählbaren Arbeitsort werden immer beliebter und in Zukunft sehr gefragt sein.

Können Sie sich vorstellen, wieder in ein „normales“ Leben zurückzukehren?

C.J.: Aktuell definitiv nicht. In ein paar Jahren, wenn unser Sohn das schulpflichtige Alter erreicht, werden wir entscheiden, wie und wo er lernen wird. Es gibt viele gute Konzepte, die es auch Familien ermöglichen, ortsunabhängig zu leben und zu arbeiten.

Das Interview führte Sylvia Rollmann, Fotos: unaufschiebbar.de

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