Text: Daniel Boss
Herr Walde, was tut sich für die deutsche Wirtschaft im Asean-Raum?
In nahezu allen Sektoren bietet Asean Geschäftspotenzial. Insbesondere die Bereiche Infrastruktur, Konsumgüter, Energie und erneuerbare Energien, Umwelttechnologie, Ma-schinenbau, sind derzeit interessant. Zusätzlich ist Asean für deutsche Unternehmen ein spannender Endverbrauchermarkt mit großen Potenzialen, insbesondere bei Luxusmar-ken, IT, Lebensmittelverarbeitung und Gesundheitspflege sowie der Autoindustrie. Aktuell sehen wir eine starke Neigung zur Diversifizierung. Bedeutet: Um potenzielle Risiken zu vermeiden, wollen deutsche Unternehmen in China flexibler werden. Das bezieht sich auf politische Risiken, potenzielle Naturkatastrophen oder auch andere Störungen der weltwei-ten Lieferketten. Bei dem aktuellen Handelskonflikt USA-China ist nun erstmals ein poten-zielles Risiko konkret geworden, so dass derzeit viele deutsche Unternehmen für Asean Interesse zeigen. In diesem Fall geht es um mögliche zusätzliche Investitionen, denn in der Regel wird das Engagement in China weiter betrieben – wir bezeichnen das als „Chi-na+1-Strategie“. Hierbei ist Asean ein attraktiver Wirtschaftsraum. Einerseits spielt die geographische Nähe zu China eine bedeutende Rolle, anderseits sind in fast allen Asean-Ländern etwa 60 bis 80 Prozent der Privatwirtschaft in Händen von chinesischen Familien.
Wie sah die Entwicklung in den vergangenen Jahren aus?
In den vergangenen Jahren haben die zehn Asean-Länder einiges erreicht. So gibt es seit Ende 2015 die AEC (Asean Economic Community), mit den vier bereits aus Europa be-kannten wirtschaftlichen Grundfreiheiten: Warenverkehrsfreiheit, Dienstleistungsfreiheit, Kapitalverkehrsfreiheit sowie Freizügigkeit von qualifizierten Arbeitnehmern. Darüber hin-aus sind vier Asean Länder Mitglied im „TPP-Verbund“, wobei zwei Staaten, Vietnam und Singapur, auch mit der EU ein Freihandelsabkommen unterzeichnet haben. Die Region bietet viele weitere Vorteile: Im Allgemeinen sind die Lohnkosten im Vergleich zu China niedriger. Die lokalen Zulieferer stellen sich in der Regel als sehr zuverlässig heraus. Und die lokalen Unternehmen sowie die wachsende Mittelschicht bieten ein großes Potenzial für den Vertrieb.
Die Asean-Staaten gehen faktisch eine regional Arbeitsteilung ein.
Welche Länder sind aus deutscher Sicht besonders interessant?
Durch ihre unterschiedlichen Entwicklungsstände gehen die Asean-Staaten faktisch eine regionale Arbeitsteilung ein. Das offene Singapur spielt eine zentrale Rolle für Investitionen und Handel sowie als Anbieter im Dienstleistungssektor. Thailand und Malaysia haben sich als beliebte Produktionsstandorte etabliert und setzen sich zum Ziel, ihre Industrie weg von arbeitsintensiven Fertigungsprozessen zu lenken. Indonesien setzt vor allem auf den Export der eigenen Rohstoffe und ist durch einen riesigen Binnenmarkt attraktiv. Die Phi-lippinen hoffen durch ein großes Infrastrukturprogramm, endlich ihr wirtschaftliches Poten-zial entfalten zu können – wobei erste Erfolge durchaus sichtbar sind. Vietnam hat sich ebenfalls als Produktionsstandort etabliert, und zwar als Alternative zu China in der Textil- und Elekt-ronikbranche. Hinzu gewinnt Vietnam durch Freihandelsabkommen, zum Beispiel mit der EU, immer weiter an Attraktivität.
Das freihandelsabkommen ist ein historischer Schritt in den Wirtschaftsbeziehungen zwischen der EU und Vietnam.
Welche Bedeutung hat dieses Freihandelsabkommen?
Es ist ein historischer Schritt in den Wirtschaftsbeziehungen zwischen der EU und Vietnam. Die Freihandels- und Investitionsschutzabkommen sind ambitioniert, durchdacht und zu-kunftsweisend. Darüber hinaus dienen sie den Interessen der deutschen Wirtschaft. Die Hauptvorteile für die deutschen Unternehmen sind ein besserer Marktzugang und Rechts-sicherheit im Wachstumsmarkt Vietnam. Sofort mit Inkrafttreten des Abkommens entfallen 65 Prozent der vietnamesischen Zölle auf EU-Exporte, die restlichen Zölle werden inner-halb von zehn Jahren abgebaut. Im Ergebnis erwarten wir eine Steigerung des deutsch-vietnamesischen Handelsvolumens, das 2019 rund 14 Milliarden Euro betrug. Dies könnte sich in den nächsten zwei bis drei Jahren auf rund 20 Milliarden Euro erhöhen. Zudem werden durch die Abkommen bedeutende nichttarifäre Handelshemmnisse abgebaut, die Dienstleistungs- und Beschaffungsmärkte geöffnet, sowie 169 geographische Herkunfts-bezeichnungen der EU geschützt.