Renate Nikolay, Europäische Kommission, Leiterin des Kabinetts von Vizepräsidentin Vera Jourova, spricht im Interview über die Herausforderungen für die NRW-Wirtschaft.
Die Wirtschaft in NRW steht aktuell unter einem enormen Druck. Seit dem 24.2., und damit einen Tag nach der Veröffentlichung des Kommissionsentwurfs, kommen die Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine dazu. Werden diese Belastungen im weiteren Gesetzgebungsprozess berücksichtigt?
Der Legislativprozess in der Europäischen Union findet niemals losgelöst vom aktuellen Zeitgeschehen statt. Daher wird die geopolitische Gesamtsituation sicher auch in den Verhandlungen zu dem Kommissionsentwurf eine Rolle spielen. Die Verlangsamung des Wirtschaftswachstums, die steigenden Preise und die Sorge um die Inflation werden aus meiner Sicht den Blick schärfen, verhältnismäßige Lösungen für die Unternehmen auch in diesem Richtlinienentwurf zu suchen.
Der Richtlinienentwurf hat das Ziel, gleiche Rahmenbedingungen für alle dort agierenden Unternehmen zu schaffen – also auch für Unternehmen aus Drittländern. Wie wollen Sie es gewährleisten, dass dieses gleiche Level-Playing-Field geschaffen und insbesondere auch eingehalten wird?
Bei der Vorbereitung des Entwurfs war uns die Gleichbehandlung aller Unternehmen, die den gemeinsamen Binnenmarkt in der Europäischen Union nutzen, ein großes Anliegen. Wer von diesem Markt profitieren möchte, der muss auch die dortigen Regeln einhalten. Das gilt auch für andere Bereiche wie Verbraucherschutz oder Produktregeln. Alles andere würde große Wettbewerbsnachteile für europäische Unternehmen bedeuten und europäische Verbraucherinnen und Verbraucher nicht wirksam schützen. Und wir können das für Unternehmen aus Drittländern kontrollieren. Sie müssen eine Repräsentanz in einem der Mitgliedstaaten vorhalten, so dass konkrete Überwachungsschritte vorgenommen werden können wie auch bei europäischen Unternehmen.
Ist ein bürokratischer Ausgleichsmechanismus über den “One in, one out“-Grundsatz geplant, um insbesondere die Wettbewerbsfähigkeit der kleinen KMU nicht zu gefährden?
Der „One in, one out“-Mechanismus ist ganz neu eingeführt worden und gilt für den Richtlinienvorschlag noch nicht, da die Vorbereitungen daran schon länger vorher begonnen hatten. Aber wir verfolgen bereits seit Jahren Regeln der besseren Rechtsetzung, die etwa eine Folgenabschätzung vor der Verabschiedung eines Entwurfes erforderlich machen. Und diese Vorarbeiten sind auch im Falle dieses Richtlinienvorschlages angewandt worden.
Einerseits wollen Unternehmen sich in ihren Lieferketten resilienter und möglichst diversifiziert aufstellen. Andererseits könnte das Lieferkettengesetz dazu führen, dass es manchen Unternehmen sinnvoller erscheint, in möglichst wenigen Ländern mit möglichst wenigen Zulieferern zusammenzuarbeiten (Risiken, Bürokratie, Kosten). Die Zusammenarbeit mit großen Unternehmen könnte attraktiver werden, KMUs an Bedeutung verlieren. Wie können Unternehmen diesen Zielkonflikt lösen?
Uns war bei der Vorbereitung des Vorschlages sehr wichtig, die Zusammenarbeit von Unternehmen, großen wie kleinen, zu unterstützen und zu bewahren. Wir haben daher verschiedene Stellschrauben in den Vorschlag eingebaut, die diesem Ziel dienen werden. So legen wir einen großen Schwerpunkt auf die Unterstützung vertraglicher Beziehungen. Diese können dienen bei dem Nachweis der Sorgfaltspflicht. Zur Erleichterung dessen bieten wir Modellverträge oder die Zusammenarbeit an sektoriellen Verhaltens-Kodex-Lösungen an. Diese wären leicht von Unternehmen anzuwenden und würde nicht zu Änderungen von Vertragsbeziehungen führen. Für KMUs bieten wir konkrete Unterstützungsmaßnahmen wie Helpdesks oder Hotlines an, damit sie Beratung erfahren können und gerade nicht aus der Lieferkette fallen.
Laut einer DIHK-Umfrage (Februar 2022) mit Fokus auf die Vorbereitungsaktivitäten auslandsaktiver Unternehmen auf das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz stellt die Umsetzung der Sorgfaltspflichten jedes zweite Unternehmen vor Herausforderungen. Über 40% der direkt betroffenen Unternehmen machen sich um das Engagement in bestimmten Ländern Sorgen. In einem weiteren Schritt sehen wir die Gefahr, dass sich Unternehmen aus Entwicklungsländern zurückziehen könnten. Wie begegnet die Kommission diesem Risiko?
Wir sind uns der Tatsache bewusst, dass wir mit dem Gesetzentwurf Änderungen einleiten werden. Aber wir sind zuversichtlich, dass diese Orientierung an Nachhaltigkeit ohnehin längst in Unternehmen stattfindet. Immerhin gibt es schon seit Jahren Empfehlungen der OECD und der UN, die in dieselbe Richtung gehen. Zudem sehen wir nach Umfragen, die wir in der Vorbereitung des Vorschlages durchgeführt haben, einen klaren Trend der Verbraucherinnen und Verbraucher hin zu mehr nachhaltigen Produkten. Daher kann die Umorientierung der Unternehmen zu mehr Nachhaltigkeit auch ein Wettbewerbsvorteil werden. Im Ergebnis wird es darum gehen, die Unternehmen nicht zu überlasten mit dieser Veränderung und gemeinsam an verhältnismäßigen Lösungen zu arbeiten. Was die internationalen Partner angeht, so bin ich sehr zuversichtlich, dass die EU mit ihrem größten gemeinsamen Markt und ihren mehr als 450 Mio. Verbraucherinnen und Verbraucher attraktiv bleiben wird, und dass sich die ausländischen Unternehmen anpassen, wie sie es schon bei anderen Regeln wie Datenschutz oder Verbraucherschutz getan haben.
Hilfreiche Informationen zu dem Thema gibt es auch im Internetauftritt der IHK Düsseldorf.
Um den Anforderungen des Lieferkettengesetzes praktisch zu begegnen, hat die IHK Düsseldorf gemeinsam mit dem Business Scout for Development Programm, der IHK Mittlerer Niederrhein und der IHK Potsdam einen innovativen IHK-Zertifikatslehrgang für Unternehmen entwickelt, geeignet für Mitarbeitende aus den Bereichen Einkauf, Produkt-/Unternehmensentwicklung, Nachhaltigkeit/CSR, oder auch Geschäftsführung.
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