Neues vom Gericht Sommer 2022

„Dezemberhilfe“ im Einzelhandel, Rauchpausen, Entschädigung bei Diskriminierung, Weitergabe fremder Daten, Inbox-Werbung

Gerichtsurteile

„Dezemberhilfe“ gilt nicht für den Einzelhandel

Ein Unternehmen, das von der coronabedingten Schließungsanordnung für den Einzelhandel ab dem 16. Dezember 2020 betroffen gewesen ist, hat keinen Anspruch auf die sogenannte „Dezemberhilfe“.
Zur Bekämpfung der Corona-Pandemie mussten Institutionen und Einrichtungen der Freizeitgestaltung wie Theater, Kinos, Bordelle, Bäder und Fitnessstudios ab November 2020 schließen. Hingegen blieben der Groß- und Einzelhandel zunächst geöffnet. Die geschlossenen Betriebe konnten für November und Dezember 2020 eine außerordentliche Wirtschaftsbeihilfe beantragen, die bis zu 75 Prozent des Umsatzes im Vorjahresmonat betrug („November-/Dezemberhilfe“). Zum 16. Dezember 2020 musste dann der gesamte Einzelhandel mit Ausnahme bestimmter, zur Versorgung der Bevölkerung nötiger Sparten schließen. Für die nun ebenfalls betroffenen Unternehmen war nur eine Überbrückungshilfe III vorgesehen, die in Abhängigkeit von der Höhe des Umsatzeinbruchs anteilig förderfähige Fixkosten decken sollte.
Diese unterschiedliche Behandlung der bereits ab November und der erst ab Mitte Dezember 2020 geschlossenen Unternehmen ist jedoch nicht zu beanstanden. Die Erbringung von Dienstleistungen unterscheidet sich grundlegend vom Verkauf von Waren. Während die Besuche etwa im Kosmetikstudio, Theater oder Restaurant regelmäßig nicht alle nachgeholt werden, lässt sich die Deckung des Bedarfs an Sachgütern aufschieben beziehungsweise online erledigen. Hinzu kommt, dass die seit November 2020 Betroffenen sechs Wochen länger geschlossen gewesen sind und die Kundenbindung in Abhängigkeit von der Schließungsdauer abnimmt.
(Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 3. Juni 2022, VG 26 K 129/21)

Rauchen nur in festgelegten Pausen

Die Anordnung eines Arbeitgebers, dass Rauchen nur in den festgelegten Pausen gestattet ist, unterliegt regelmäßig nicht dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats.
Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats umfasst das betriebliche Zusammenleben und Zusammenwirken der Arbeitnehmer, nicht aber das Arbeitsverhalten und damit Regelungen und Weisungen, welche die Arbeitspflicht unmittelbar konkretisieren. Die Anordnung, das Rauchen nur in den regulären Pausen zu erlauben, betrifft aber nur das Arbeitsverhalten. Der Arbeitgeber muss solche Arbeitsunterbrechungen nicht dulden, da während der festgelegten Arbeitszeiten Arbeitspflicht besteht. Dass es wegen schwankenden Arbeitsanfalls nicht immer möglich ist, alle Mitarbeitenden permanent zu beschäftigen, ist kein Grund für das Verlassen des Arbeitsplatzes.
(Beschluss des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 29. März 2022, 5 TaBV 12/21)

Entschädigungszahlung wegen Diskriminierung

Stellt ein Gericht einen Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), also eine verbotene Diskriminierung fest, so darf es nicht von einem Entschädigungsanspruch für den Diskriminierten absehen. Auch die Festsetzung einer Entschädigung auf „Null“ kommt nicht in Betracht. Auch ein geringer Verschuldensgrad des Arbeitgebers führt zu keiner anderen Bewertung, denn die Haftung auf Entschädigung ist verschuldensunabhängig.
Unwirksam sind auch sämtliche Vereinbarungen zwischen dem Arbeitgeber und dem Diskriminierten, durch die Ansprüche aus dem AGG im Voraus ausgeschlossen oder beschränkt werden. Anderes gilt jedoch für Vereinbarungen über Ansprüche aus dem AGG im Nachhinein: Daher ist es möglich, dass der Diskriminierte nachträglich mittels eines Aufhebungsvertrags auf den Entschädigungsanspruch verzichtet.
(Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 28. Oktober 2021, 8 AZR 371/20)

Unbefugte Weitergabe fremder Daten

Liest ein Arbeitnehmer, der im Rahmen seiner Buchhaltungsaufgaben Zugriff auf den PC und das E-Mail-Konto seines Arbeitgebers hat, unbefugt eine an seinen Vorgesetzten gerichtete E-Mail und fertigt er von dem Anhang einer offensichtlich privaten E-Mail eine Kopie an, die er an eine dritte Person weitergibt, so rechtfertigt dies eine fristlose Kündigung.
In der unbefugten Kenntnisnahme und Weitergabe fremder Daten liegt auch wegen der damit einhergehenden Verletzung von Persönlichkeitsrechten ein schwerwiegender Verstoß gegen die arbeitsvertragliche Rücksichtnahmepflicht. Angesichts der Schwere der Pflichtverletzung überwiegt das Interesse des Arbeitgebers, sich von dem Arbeitnehmer zu trennen, das Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers deutlich. Selbst die erstmalige Hinnahme dieser Pflichtverletzung ist dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen.
(Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 2. November 2021, 4 Sa 290/21)

Einwilligung in Inbox-Werbung

Inbox-Werbung bedeutet die automatisierte Werbeeinblendung auf bestimmten dafür vorgesehenen Flächen in der E-Mail-Inbox des Nutzers. Eine wirksame Einwilligung in solche Inbox-Werbung liegt nicht vor, wenn der Nutzer, der eine unentgeltliche, durch Werbung finanzierte Variante eines E-Mail-Dienstes gewählt hat, sich allgemein damit einverstanden erklärt, Werbeeinblendungen zu erhalten, um kein Entgelt für die Nutzung des E-Mail-Dienstes zahlen zu müssen.
Erforderlich ist vielmehr, dass der betroffene Nutzer vor einer Einwilligungserklärung klar und präzise über die genauen Modalitäten der Verbreitung einer solchen Werbung informiert wird. Er muss insbesondere darüber informiert werden, dass Werbenachrichten in der Liste der empfangenen privaten E-Mails angezeigt werden. Ansonsten ist die Einwilligung unwirksam und damit die Werbung unzulässig.
(Urteil des Bundesgerichtshofs vom 13. Januar 2022, I ZR 25/19)