Pro & Contra Akademisierung

Ist der Trend zur Akademisierung zu stoppen?

Ist der Trend zu Akademisieung zu stoppen

Pro: Menschen mit praktischer Ausbildung sind gefragt.
Julian Nida-Rümelins These vom Akademisierungswahn ist aus meiner Sicht weiterhin gültig, selbst wenn die Zahl der Studienanfänger seit einigen Jahren rückläufig ist. Die berufliche Erstausbildung hat nach wie vor – zu Unrecht – ein Imageproblem.
Viele junge Menschen wollen studieren – oft, weil sie falsch beraten oder von den Eltern dazu animiert wurden. Meist haben sie keine konkrete Vorstellung davon, was sie erwartet. In der Folge brechen sie das Studium ab und beginnen erst im Nachgang eine Ausbildung.
Tatsächlich hat die berufliche Lehre einen hohen Stellenwert. Das zeigen unsere Zahlen. Für das Ausbildungsjahr 2021 erhielten wir mehr als 800 Bewerbungen auf 30 vorwiegend gewerblich-technische Ausbildungsplätze. 41 Prozent der Bewerber und Bewerberinnen haben das Fachabitur oder Abitur absolviert. Außerdem bewerben sich regelmäßig Studienabbrecher und -abbrecherinnen auf diese Stellen.
Unabhängig von ihrer Vorbildung sind unsere Auszubildenden in der Regel sehr glücklich über ihre Entscheidung, eine qualifizierte, praktische Berufsausbildung zu durchlaufen.

Ist der Trend zu Akademisierung zu stoppen?
Cornelia Stute ist Leiterin Talentmanagement bei Vallourec Deutschland. Zu ihrem Verantwortungsbereich zählt auch die Aus- und Weiterbildung mit insgesamt 120 Auszubildenden.
Foto: Susanne Duddeck Design

Neben der Vermittlung der erforderlichen technischen und kaufmännischen Kenntnisse schätzen sie es, Teil eines großen Teams zu sein. Nicht zu vernachlässigen ist auch, dass die Auszubildenden bereits vom ersten Tag an ihr eigenes Geld verdienen. In einem tarifgebundenen Metallunternehmen liegt die Ausbildungsvergütung im ersten Lehrjahr bei 936 Euro pro Monat, im vierten beträgt sie bereits 1.103 Euro pro Monat. Auch nach der Ausbildung sind die Verdienstaussichten nicht schlecht, ein sehr gut qualifizierter Facharbeiter oder eine Facharbeiterin beziehungsweise Techniker/Technikerin bekommt nahezu das gleiche Gehalt wie ein Master-Ingenieur/eine Ingenieurin mit zwei Jahren Berufserfahrung.
Fazit: Eine solide Ausbildung ist bei vielen jungen Menschen sehr wohl gefragt. Ihre Perspektiven sind glänzend. Facharbeiter und Facharbeiterinnen werden händeringend gesucht, nicht nur in der Industrie, sondern auch im Handwerk. Ohne qualifizierte Fachkräfte ist unsere Gesellschaft nicht überlebensfähig. Von daher sollte der dualen Berufsausbildung noch mehr Aufmerksamkeit und Anerkennung geschenkt werden.

Contra: Viele junge Menschen wollen studieren.
Bis vor einigen Jahren wurden in unserem Unternehmen nur ausbildungsintegrierte duale Studiengänge im kaufmännischen und im IT-Bereich angeboten. Dabei absolvieren die Auszubildenden parallel auch ein Studium mit dem Ziel des IHK- und des Bachelor-Abschlusses. Wir haben in den vergangenen Jahren alle unsere Nachwuchskräfte übernommen und bieten zur beruflichen Weiterentwicklung unter anderem drei Karrierelaufbahnen (Führungskräfte, Expertinnen, Experten oder Projektmanagerinnen, Projektmanager) an. Um den gesamten Bedarf für unsere Arbeitsfelder abzubilden, nahmen wir zusätzlich reine Ausbildungsberufe in unser Angebot mit auf.
Dieses Angebot wird auch gern angenommen, hier fällt uns jedoch eine Tendenz zum anschließenden Studienbeginn auf. Einige Azubis berichteten uns, dass sie in Eigenregie nun doch ein berufsbegleitendes Studium absolvieren. Ähnliches erlebten wir mit Studienabbrecherinnen und -abbrechern, die bei uns eine Ausbildung begannen. Einige von ihnen haben ebenfalls doch wieder ein Studium aufgenommen. Die jungen Menschen entwickeln Ehrgeiz.

Ist der Trend zur Akademisierung zu stoppen?
Claudia Hanf-Schüler arbeitet bereits seit mehr als 30 Jahren beim Ratinger Unternehmen DKV Mobility und seit fünf Jahren als Ausbildungsleiterin. Sie begleitet 23 Auszubildende und 3 Trainees.
Foto: DKV Mobility

Sie sind oder wurden wieder motiviert, wissen, was sie wollen, und setzten sich Ziele. Diese zu erreichen ist ihnen die Anstrengung wert, über drei Jahre parallel Ausbildung und Studium zu absolvieren.
Meine Erkenntnis daraus: Der Trend zum Studium ist nicht aufzuhalten. Zudem wird mittlerweile bei vielen Stellenausschreibungen ein Studium vorausgesetzt, teilweise auch bei Stellen, welche man früher auch ohne akademische Bildung anstreben konnte. Dazu kommt, dass viele junge Menschen gerne studieren möchten – und viele Eltern wünschen sich das ebenfalls. Ob dieser Trend gut ist, ist eine andere Frage, und vermutlich auch branchenabhängig. Eine solide Ausbildung ist ebenfalls sehr wertvoll und die Qualifikationen werden im Unternehmen gebraucht. Für viele Tätigkeiten ist ein Studium unter Umständen nicht zwingend notwendig. Schwierig ist es teilweise für Studienabsolventinnen und -absolventen, die keine Berufserfahrung mitbringen. Reine Theoretikerinnen und Theoretiker ohne Praxiserfahrung finden schwerer einen Zugang in den Arbeitsmarkt. Hier ist es hilfreich, Praktika zu absolvieren. Wir bieten Werkstudenten und -studentinnen gerne diese Möglichkeit.
Fazit: Die Akademisierung wird weiter voranschreiten. Es wäre aber gut, wenn die rein praktische Ausbildung wieder einen höheren Stellenwert bekäme und mehr Akzeptanz finden würde.

Text: Jürgen Grosche, Illustration: Brian Storm

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