Schöne neue Stadtwelt?

Innenstädte und Stadtteilzentren wandeln sich permanent – in den vergangenen Jahren sogar immer schneller.

Text: Jürgen Grosche

Die Online-Welten beeinflussen das Kaufverhalten der Kunden. Corona hat diese Trends verstärkt, die sich ohnehin abzeichneten. Doch Stadtwelten können auch künftig Erfolg haben, wenn sie sich neu erfinden. Und wenn alle Akteure mitmachen und sich vernetzen. Darüber sind sich Handelsexperten und Marktbeobachter einig.

Mehr Menschen arbeiten im Homeoffice

Foto: privat

Wird New Work die Innenstädte verändern? „Der Trend zum Homeoffice wird sich fortsetzen“, ist die Düsseldorfer Immobilienmaklerin Nina Chevalier überzeugt. Bei Neubauten planen Architekten schon entsprechende Räume ein. Neue Arbeitsverträge enthalten häufig schon entsprechende Klauseln. Das wirkt sich auf die Region aus. Die Immobilienpreise gleichen sich an, „womöglich relativ schnell“, vermutet die Expertin. Denn die Menschen müssen nicht mehr die teuerste Lage nehmen, „da ist das Ende der Fahnenstange erreicht“. Man sucht im Umland, das aber preislich anzieht. Die Angleichung kann aber auch zu einer Entspannung führen – die Menschen haben mehr Auswahl. Begünstigt wird der Trend durch neue Mobilitätskonzepte. Alles zusammen kann sich positiv auf die Zentren der Region auswirken, die neuen Zulauf bekommen können. Dafür müssen die Zentren der Großstadt mehr tun, um attraktiv für Besucher zu bleiben. „Generell sehen wir aber eine gesunde Entwicklung“, fasst Nina Chevalier zusammen.

Multichannel-Shopping auch in den Stadtteilen

Werden die Stadtteilzentren ihre Funktion behalten? Die Stadtteilzentren funktionieren wie Marktplätze: Menschen kaufen Dinge des täglichen Bedarfs, treffen sich, essen ein Eis oder trinken ein Bier. Das geht online nicht, wie derzeit viele schmerzlich spüren. „Deswegen muss man die Stadtteilzentren erhalten“, sagt Sven Schulte, Referent Handel und Stadtentwicklung bei der IHK Düsseldorf. Jetzt hat die Krise die Menschen verunsichert, gleichzeitig haben digitale Anbieter professionelle Alternativen geschaffen, Stichworte Online-Shopping und Video-Meetings. Dennoch haben auch die Stadtteile künftig eine Chance, wenn sie etwas bieten, was es woanders nicht gibt, auch online nicht. Und wenn auch sie sich professionalisieren, zum Beispiel den stationären Handel und Onlinegeschäft verbinden oder Schaufensterangebote mit digitalen Anwendungen vernetzen. Schulte fordert hierfür eine Allianz von Geschäften, Gastronomen, Eigentümern, Kulturanbietern und anderen Akteuren. Am besten koordiniere ein Quartiersmanager die Aktivitäten, ist Schulte überzeugt.

Foto: IHK Düsseldorf

Eine unabhängige Planung für die neue Normalität

Foto: Altstadt-Marketing

Brauchen Handel, Gastronomie und Dienstleistungen Unterstützung? Während der Lockdowns brauchten die Händler, Dienstleister und Gastronomen staatliche Unterstützung, sonst hätten sie es nicht geschafft. Doch auch eine neue Normalität wird sich vom früheren Leben unterscheiden. Das Kaufverhalten hat sich geändert. „Die Innenstädte brauchen jetzt öffentliche Gelder zur Gestaltung einer funktionierenden Infrastruktur“, betont Frank Hermsen, Vorstandsvorsitzender des Forums Stadt-Marketing Düsseldorf. Es gehe darum, die Attraktivität der Stadt wiederherzustellen oder zu erhalten. Hermsen sieht dafür viele Möglichkeiten: Anschubfinanzierungen für Kulturprojekte, Unterstützung von Programmen, die die Innenstadt beleben. Sehr wichtig sei eine Koordinierungsstelle, ein City-Management, das nicht bei der Stadt angesiedelt ist. Auch dafür brauche es eine Anschubfinanzierung. Und dann müssen natürlich alle mitmachen, auch die Unternehmen. „Das Herz muss selbst wieder anfangen zu schlagen“, fasst Hermsen zusammen.

Eine ganz andere Verkehrsinfrastruktur

Spielt das Thema Mobilität künftig eine größere Rolle? Die Trends der Verkehrsentwicklung in der Nach-Corona-Zeit und ihre Auswirkung auf die Zentren sind noch nicht eindeutig. Mehr Menschen werden im Homeoffice arbeiten, trotzdem zum Einkaufen oder Sport mit dem Auto fahren. Der Nahverkehr wird sich wieder erholen und der Radverkehr einen deutlich größeren Anteil einnehmen. Davon geht Uwe Kloppe, Geschäftsführer bei der Lindschulte Ingenieurgesellschaft, aus. Das Unternehmen befasst sich auch mit Verkehrsplanung. Gerade für die Zentren werde es darauf ankommen, für eine gute Vernetzung zu sorgen, sagt Kloppe. „Mit dem Ausbau des Radwegenetzes sind wir auf dem richtigen Weg.“ Gute Ansätze sieht der Verkehrsexperte auch beim Umstieg auf Elektro- und Wasserstoff-Mobilität. Autos werde es immer geben, aber sie müssten ja nicht an jeder Straße parken. Also müsse auch die Parkhaus-Infrastruktur ausgebaut werden. Den freiwerdenden Platz könne man für Außengastronomie nutzen und so die Zentren attraktiver machen. Da viele Besorgungen zu Fuß gemacht werden, müsse auch die Fußgänger die Infrastruktur verbessert werden.

Lindschulte und Kloppe

Kultur-Highlights für die Innenstadt

Foto: Lars Heidrich

Helfen neue Highlights den Innenstädten? Warum sollen die Kunden noch in die Innenstädte fahren, wenn sie ihre Käufe online erledigen können? „Corona hat gezeigt, dass man für viele Dinge keinen stationären Handel braucht“, sagt Thomas Görner, Geschäftsführer des Fachgeschäftes Foto Koch. Stadtzentren müssen also zeigen, was sie einzigartig macht. „Auch das Markenportfolio muss etwas Besonderes bieten“, betont Görner. Und das Drumherum muss stimmen: Die Geschäfte müssen gut erreichbar sein. Einzigartigkeit als wichtigstes Highlight also – dazu zählen auch Spezialitäten wie eine gute Architektur, Natur, Verweilflächen und Kultur. Das könnte Kunden zum Besuch reizen, „denn sie gehen shoppen, wenn sie es wollen, nicht weil sie es müssen“, sagt Görner. Um sich so zu positionieren, müssen alle Akteure zusammenarbeiten. Auf Eigentümer von Stadtimmobilien sieht der Experte dabei eine größere Verantwortung zukommen. Sie sind am langfristigen Werterhalt interessiert, dazu muss das Umfeld dauerhaft intakt sein.

Pop-up-Stores, und Manufakturen für die City

Sehen die Innenstädte der Zukunft anders aus als heute? Die Innenstädte sollten künftig anders aussehen, fordert Frank Rehme, Geschäftsführer bei der gmvteam GmbH, die Pilotprojekte für den solche Revitalisierung sollte durch eine Relokalisierung ergänzt werden, man solle „Dinge zurückholen, die früher in der Stadt waren“, konkretisiert Rehme und nennt als Vorbild die Hackeschen Höfe in Berlin. Manufakturen und Schneiderateliers würden Besucher ins Zentrum locken. Dazu muss man natürlich die Vermieter ins Boot holen. Die Top-Mieten wie früher erzielen sie damit nicht, aber noch schlimmer wäre ein Veröden der Innenstadt. Wenn dazu noch Cafés, eine Eisbahn, Wasserflächen und andere Magneten kommen, aber Autoverkehr herausgehalten wird, hat das Zentrum eine Chance. Dritter Treiber der Innenstadt der Zukunft ist die Digitalisierung. Rehme denkt da beispielsweise an digitale Tourguides, um die Shopper beim anlassbezogenen Konsum zu unterstützen. Ein Beispiel dafür wäre das Thema Hochzeit, das zu Brautmoden-, Schmuck- und Schuhgeschäften führt.

Foto: gmvteam GmbH

Büroprojekte werden zu Wohnungen

Foto: Markus Luigs

Kommt das Wohnen zurück? Auch wenn durch Homeoffice das Umland interessanter wird, bleibt der Druck auf die Stadt groß. Zugleich sinkt derzeit die Büroflächen-Nachfrage, auch in der Innenstadt. „Die Büromieten geraten unter Druck, Wohnen wird für Investoren interessanter.“ All diese Marktbeobachtungen macht Matthias Pfeifer, Partner bei RKW Architektur + und Vorsitzender des Ausschusses Immobilienwirtschaft der IHK Düsseldorf. In der Folge werden Büroprojekte zu Wohnprojekten. Der Städtebau kommt seinem Ziel näher, die frühere Funktionstrennung – hier Wohnen, da Arbeiten – aufzuheben. „Wir wollen die nutzungsgemischte Stadt“, umschreibt Pfeifer den neuen Regelfall. Das erfordere aber Toleranz. „Die Ruhe der Vorstadt gibt es im Zentrum nicht.“ Rechtsprechung, vor allem aber der Gesetzgeber müssten entschlossener und schneller auf diese Entwicklung reagieren. In der Kritik steht zum Beispiel die Verwaltungsvorschrift TA Lärm. Das Recht müsse an vielen Stellen noch angepasst werden, um den aktuellen Entwicklungen gerecht zu werden, ist Pfeifer überzeugt.

Kleinere Städte brauchen individuelle Konzepte

Unterscheidet sich Stadtentwicklung in Düsseldorf und im Kreis Mettmann? Eine kleinere Stadt kann eher wie ein Schnellboot reagieren, als dies in einer Großstadt möglich ist. Beispiel Ratingen: In der Innenstadt gibt es viele inhabergeführte Geschäfte, die auch während der Krise durchhalten wollen. Die Stadt unterstützt die Wirtschaft mit einem millionenschweren Hilfsprogramm, das die Hilfen von Bund und Land ergänzt. Nina Bauer, Geschäftsführerin der Ratingen Marketing GmbH, schätzt die kürzeren Wege und persönlichen Kontakte, die in einer kleineren Stadt eher gepflegt werden können. „Wir haben mit den Unternehmen eine WhatsApp-Gruppe gegründet, das macht die Kommunikation einfacher.“ Ratingen bewirbt sich zudem um das Soforthilfeprogramm Innenstadt, um mit drei Pilotprojekten Leerstände zu beseitigen. Dazu gehören ein Pop-up-Store mit lokalen Produkten und offenen Ateliers, ein Gründerwettbewerb und ein Projekt mit Jugendlichen, die ihre Vorstellungen für die Innenstadt der Zukunft einbringen können. Nina Bauer hofft zudem, im Sommer mit Veranstaltungen wieder Leben in die Innenstadt zu bringen.

Foto: Ratingen Marketing GmbH

Über dieses Thema haben wir auch im IHK Quarterly 02/2021 berichtet.

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