„Sinnstiftender kann eine Aufgabe nicht sein“

Interview: Werner Grosch, Foto: Andreas Endermann

Ulf C. Reichardt ist seit 1. April Vorsitzender der Geschäftsführung der im Aufbau befindlichen Landesgesellschaft für Energie und Klimaschutz. Im Interview berichtet der frühere Hauptgeschäftsführer der IHK Köln über die ehrgeizigen Ziele der neuen Gesellschaft und den dahinterstehenden Wandel. Außerdem geht es um seine neue, teils ungewohnte Rolle dabei.

Die neue Gesellschaft soll die Ansiedlung innovativer, klimafreundlicher Technologien fördern

IHK Quarterly: Die Wirtschaft war wohl lange Zeit nicht so grundlegend im Wandel wie derzeit durch die Folgen der Pandemie, aber auch durch die Digitalisierung und die Anforderungen des Klimaschutzes. Welche Rolle soll die neue Gesellschaft des Landes NRW dabei spielen?

Ulf C. Reichardt: Die deutschen Klimaziele sind ja jüngst noch einmal verschärft worden, Klimaneutralität soll schon 2045 erreicht sein. Hinzu kommen die Anforderungen, die das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichtes darüber hinaus an die Politik stellt. Wenn wir diese Ziele erreichen wollen, müssen wir schnell und konkret handeln. Die neue Gesellschaft soll die Ansiedlung innovativer, klimafreundlicher Technologien fördern, Fördermittel für Projekte einwerben, konkret an die Umsetzung gehen, um NRW zum Klimaschutzland Nummer eins in Deutschland zu machen. Dabei ist ganz wichtig: Wir wollen Klimaschutz mit der Wirtschaft machen, nicht gegen sie. Das Land, das heute vor allem international noch mit Kohle in Verbindung gebracht wird, soll künftig einen Namen als Exportland für Klimaschutztechnologie haben.

Wie groß schätzen Sie die Bereitschaft gerade in der klassischen Industrie ein, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen?

U. C. R.: Die Offenheit dafür ist in den vergangenen Jahren definitiv deutlich gewachsen. Wer heute noch glaubt, er könne ohne Einbeziehung des Themas Klimaschutz die Zukunft planen, ist auf dem Holzweg. Aber die allermeisten haben das längst erkannt. Das zeigt auch die aktive Beteiligung von einigen der wirtschaftsstärksten Industrieunternehmen NRWs an unserem seit 2018 bestehenden Think Tank IN4Climate.NRW, in dem Expertinnen und Experten aus Politik, Industrie und Wissenschaft gemeinsam innovative Ideen und Lösungen für eine klimaneutrale Industrie entwickeln.

Für Sie persönlich als ehemaliger ThyssenKrupp-Manager und zuletzt IHK-Hauptgeschäftsführer ist die Aufgabe auch eine große Veränderung. Was hat Sie daran gereizt?

U. C. R.: Es macht unglaublich viel Spaß, so etwas völlig neu aufzubauen, noch dazu bei diesem besonders wichtigen Thema Klimaschutz und das im bevölkerungsreichsten Bundesland. Man spricht ja heute gerne von „purpose“, also so etwas wie Sinnstiftung. Sinnstiftender als dies kann kaum eine Aufgabe sein.

Im Augenblick steckt die Gesellschaft noch ganz in den Anfängen, Sie sind aktuell nur zu zweit und sitzen in einem kleinen Büro in einem Co-Working-Space …

Bis Ende nächsten Jahres wollen wir bei etwa 100 Mitarbeitenden sein

U. C. R.: Das ist nicht ganz richtig. Wenn man die Mitarbeitenden des Think Tanks IN4climate.NRW unter der Leitung meines Geschäftsführerkollegen Samir Khayat dazurechnet, die derzeit zwar in Gelsenkirchen sitzen, aber ebenfalls am Aufbau der neuen Gesellschaft beteiligt sind, dann sind wir immerhin 19! Ich habe entschieden, dass wir jetzt zum Start nicht schon Büroflächen brauchen, die wir dann erst nach und nach füllen können, sondern dass wir das sukzessive entsprechend des Mitarbeiteraufwuchses aufbauen. Derzeit führe ich jede Woche jeweils einen ganzen Tag lang Vorstellungsgespräche. Bis Ende nächsten Jahres wollen wir bei etwa 100 Mitarbeitenden sein. Dieses flexible Mitwachsen der Büroflächen geht am besten in einem Co-Working-Space.

Was für Leute suchen Sie?

U. C. R.: Derzeit vor allem Projektmanagerinnen und -manager. Wir brauchen Menschen, die neben Fachwissen in den Themenfeldern der Energiewende Organisationstalent und konzeptionelle Stärke mitbringen. Besonders wichtig ist aber, dass sie sich für Innovationsfragen im Zusammenhang mit der Energiewende begeistern. Auf unsere Ausschreibung haben wir sehr viele qualifizierte Bewerbungen bekommen, denn offenbar stößt genau das und die Chance zur Aufbauarbeit bei vielen auf Interesse.

Was sind auf der inhaltlichen Ebene aktuell Ihre wichtigsten Aufgaben?

U. C. R.: Bei diesem sehr vielfältigen Thema Klimaschutz und Energiewende müssen wir ganz gezielt herausfiltern, um welche Themen wir uns tatsächlich kümmern und um welche nicht. Sonst kann man sich sehr schnell verzetteln und das darf uns nicht passieren. Wir wollen Akzente setzen und erfolgreich sein mit unseren Projekten. Das bedeutet: Wirksamkeit im Sinne des Klimaschutzes erreichen.

An welche Art von Projekten denken Sie dabei?

U. C. R.: Zum Beispiel solche, die zur Ansiedlung von innovativen Technologien in Nordrhein-Westfalen führen. Eine sehr große Rolle wird mit Sicherheit das Thema Photovoltaik spielen – und das nicht nur auf Dächern, sondern auf großen Flächen, ob an Autobahnen entlang oder in sonstigen öffentlichen Bereichen. Denn bei Themen wie der Elektromobilität oder auch der Energieversorgung von Gebäuden ist ja die zentrale Frage, wie der dafür notwendige Strom erzeugt wird. Nur wenn er klimafreundlich produziert ist, funktioniert die Energiewende. Dabei geht es auch um viele Teilfragen, zum Beispiel die Speicherung – ein sehr spannendes Thema. Möglicherweise werden ja bald E-Autos von den Versorgern als Zwischenspeicher genutzt, um die schwankende Einspeisung von Strom aus Wind oder Sonne optimal steuern zu können. Solche Technik soll im besten Fall in NRW entwickelt und von hier aus in die Welt exportiert werden.

Es soll aber nicht nur um Stromerzeugung gehen, sondern auch um Einsparung, also effizienten Einsatz von Ressourcen.

U. C. R.: Genau. Deshalb ist der Gebäudebereich auch ein ganz wichtiges Thema für uns. Deren Energiebedarf muss so gering wie möglich sein und dafür soll die klimaneutrale Landesverwaltung auch als Vorbild dienen. Bei allen Neubauten und Sanierungen von Landeseinrichtungen wird das eine zentrale Rolle spielen.

Das gilt dann natürlich auch für den Sitz der neuen Landesgesellschaft, die Sie führen, wenn sie dann mal ihre rund 100 Mitarbeitenden erreicht hat.

U. C. R.: Selbstverständlich. Wir haben gerade eine Absichtserklärung unterschrieben mit dem Ziel, unseren endgültigen Sitz im EUREF-Campus im Düsseldorfer Norden zu beziehen. Hier werden Start-ups, Forschung, Innovation und etablierte Unternehmen kooperieren – und das an einem Ort, der heute schon die Klimaschutzziele für 2045 erfüllt. Einen besseren Standort kann ich mir nicht vorstellen.

Über dieses Thema haben wir auch im IHK Quarterly 02/2021 berichtet.