Text: Jürgen Grosche, Fotos: Melanie Zanin
Die deutsche Industrie steht vor einer der größten Herausforderungen seit Jahrzehnten. Um die gesetzten Ziele der Klimaneutralität zu erreichen, sollen fossile Energieträger durch nachhaltig erzeugte ersetzt werden, und Wasserstoff wird dabei eine zentrale Rolle spielen. „Wir nehmen deshalb Deutschlands größte B2B-Start-up-Messe Future Tech Fest zum Anlass, um Expertinnen und Experten aus Unternehmen, Start-ups, Wissenschaft und Politik zusammenzubringen, um technologische und politische Lösungen zu diskutieren und zu präsentieren“, sagte Ralf Schlindwein, Geschäftsführer International, der das Programm gemeinsam mit seinem Team zusammenstellte, bei einer Gesprächsrunde mit Andreas Rimkus SPD-Mitglied im Deutschen Bundestag, Dr. Ulrich Biedendorf, Geschäftsführer Standortpolitik bei der IHK Düsseldorf, Dr. Dieter Ostermann, Geschäftsführer der neoxid group und Vorsitzender des Vereins Wasserstoff Hub Rhein-Kreis Neuss/Rheinland sowie Prof. Dr. Andreas Peschel, Direktor des Instituts für nachhaltige Wasserstoffwirtschaft im Forschungszentrum Jülich.
Damit der Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft im Rheinland erfolgreich verläuft, sind mehrere Aspekte entscheidend. Die Region hat aufgrund ihrer industriellen Dichte einen hohen Energiebedarf, der aktuell zu 60 Prozent durch Gas gedeckt wird, wie Biedendorf erklärt. Er bezifferte den Verbrauch bei Düsseldorfer Unternehmen auf mehr als elf Terawattstunden (TWh) im Jahr. Wasserstoff könnte in Zukunft eine wichtige Rolle spielen. Unternehmen in Düsseldorf könnten bis 2030 fast eine Terawattstunde Wasserstoff nachfragen.
Zentrale Herausforderungen bestehen, so Peschel, in der Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und Wissenschaft, insbesondere in der Entwicklung von Pilotprojekten, die die Sicherheit der Energieversorgung demonstrieren. Zudem müssen Fragen zur Speicherung, zum Transport und zur Infrastruktur geklärt werden. Start-ups könnten hier innovative Lösungen bieten, sagte Rimkus. Es fehle jedoch noch an klaren Regelungen und Planbarkeit, ergänzte Ostermann. Der Aufbau eines Wasserstoff-Kernnetzes bis 2032 ist geplant, doch es gebe noch keine konkreten Pläne für ein Verteilnetz, das den Wasserstoff zu den Betrieben bringt, und der Mittelstand sei dabei bisher wenig berücksichtigt, merkte Biedendorf an.
Viele Chancen für Technologieanbieter auf Auslandsmärkten
Weitere Experten stellten auf der IHK-Bühne beim Future Tech Fest Perspektiven des Energieträgers Wasserstoff und die Chancen für Unternehmen vor. So bietet die grüne Transformation für deutsche Unternehmen im Ausland interessante Kooperationsmöglichkeiten und Absatzmärkte. Vertreter von Außenhandelskammern stellten drei Beispiele vor.
Finnland werde im Jahr 2030 zehn Prozent des gesamten grünen Wasserstoffs der Europäischen Union (EU) herstellen, sagte Jan Feller, Geschäftsführer der Deutsch-Finnischen Handelskammer (AHK Finnland). Zwei Pipelines hätten im Frühjahr den EU-Status von Vorhaben von gegenseitigem Interesse (projects of common interest/PCI) erreicht. Feller lud die Teilnehmenden zum gemeinsam mit der IHK Düsseldorf ausgerichteten Deutsch-Finnischen Businessforum ein, das am 30. und 31. Oktober 2024 in Düsseldorf zum Thema Post fossile Energie stattfindet.
Auch Irland und Belgien positionieren sich in der Wasserstoffwirtschaft. „Irland braucht deutsche Technologie, um die Infrastruktur aufzubauen“, sagte David Parkmann, Leiter von DE International bei der Deutsch-Irischen Industrie- und Handelskammer (AHK Irland). Die Insel biete große Reserven für Offshore-Windkraftanlagen. „Wir brauchen internationale Kooperationen in Europa, um im Wettbewerb zu bestehen“, betonte Adwin Martens Strategievorstand der belgischen Initiative WaterstoffNet, die sich auf die Förderung und Entwicklung der Wasserstoffwirtschaft konzentriert. Martens stellte Projekte aus dem belgischen Wasserstoff-Ökosystem vor.
Innovative Technologien aus Deutschland
Damit der Wasserstoffhochlauf gelingt, braucht es neben geeigneten Rahmenbedingungen innovative Technologien. Einige Akteure stellten ihre Aktivitäten im Rahmen von kurzen Pitches vor, darunter auch die Schmidt-Kranz Gruppe, ein Hidden Champion aus dem IHK-Bezirk – aus Velbert-Langenberg. Geschäftsführer Mortimer Glinz beschrieb die Transformation der mittelständischen Gruppe mit 3000 Mitarbeitern auf wasserstoffbasierte Produktion. Die Unternehmensgruppe ist in den Bereichen Untertage- oder Tunnelbau, Mineralstoffaufbereitung und -entsorgung, Hochdrucktechnologie, Automatisierung und Service-Dienstleistungen tätig. Großes Potenzial sehe man mittelfristig in Anwendungen rund um den Wasserstoff, insbesondere die wasserstoffbasierte Mobilität. Heute komme bereits ein Drittel der Erträge aus entsprechenden Geschäften, sagte Glinz.
Deutschland müsse im Bereich Wasserstofftechnologien aufholen, um international wettbewerbsfähig zu bleiben, betonte Dr. Wiebke Lüke von der WEW GmbH, die sich auf Elektrolyse zur Produktion von grünem Wasserstoff spezialisiert. David Strittmatter von Icodos sieht großes Potenzial in der Schifffahrt durch E-Methanol zur Reduzierung fossiler Brennstoffe. Die Thyssenkrupp-Tochter Nucera entwickelt Elektrolyseanlagen, wobei laut Jens Wilhelm Kuhlmann besonders große Projekte von Wasserstoff profitieren könnten. Ralf Werner von Open Grid Europe hob die Herausforderungen im Energietransport hervor. Er sieht in Digitalisierung und Start-up-Kooperationen Chancen zur Dekarbonisierung. Europa hinke bei der Risikofinanzierung von Wasserstoff-Start-ups hinter den USA her, wobei eine Expansion in Europa durch größere Aufträge im Gange sei, erklärte Moritz Glettenberg von H2UB, einer Innovationsplattform für die Wasserstoff-Wertschöpfungskette.
Wie weit und kostenintensiv der Weg zur grünen Produktion noch ist, zeigte Jochen Burg, Vorsitzender der Geschäftsführung der SMS group, im CEO-Talk am Beispiel der Stahlindustrie. Die SMS group entwickelt, konstruiert und installiert Anlagen und Maschinen für die Metallindustrie, insbesondere für die Stahl- und Aluminiumproduktion, Stahl sei ein guter Anwendungsfall für die Transformation, da er überall – auch eben in der Transformation – gebraucht werde, während in der Produktion große Mengen Treibhausgase anfallen – der Hebel zur CO2-Einsparung ist hier enorm. Zwar werde nur zwei Prozent der weltweiten Stahlproduktion in Deutschland hergestellt. Dennoch könne sich die Industrie des Landes als „first and quick mover“ schnell Wettbewerbsvorteile sichern und damit einen sehr wichtigen Grundstoff für die eigene Industrie weiter vor Ort produzieren. Herausforderung sei der immense Bedarf an Wasserstoff.
Weitere Informationen der IHK Düsseldorf zum Thema Wasserstoff.
Informationen zum Deutsch-Finnischen Businessforum.
Beiträge aus dem Bereich Internationales im IHK-Onlinemagazin.