Energiekrise: Auf Reserve

Die aktuelle Lage stellt die Unternehmen vor massive Herausforderungen. Von der Politik fordern sie vor allem Planungssicherheit.

Energiekrise

Text: Werner Grosch, Fotos: Felix Gemein
Krise? Welche Krise? In den vergangenen Wochen gab es doch eine Menge guter Nachrichten für die Wirtschaft im Hinblick auf das Thema Energie und Energiekrise. Die Gasspeicher waren Mitte November zu 100 Prozent gefüllt. Eine nationale Mangellage mit drastischen Einschränkungen bei der Versorgung ist jedenfalls für diesen Winter unwahrscheinlicher geworden. Zugleich haben die Planungen für die Entlastung vor allem kleinerer und mittlerer Unternehmen (KMU), die weniger als 1,5 Millionen Kilowattstunden Gasverbrauch im Jahr haben, Gestalt angenommen – zum einen mit der Dezember-Soforthilfe durch den Bund, in der Regel durch Übernahme der Abschlagszahlung für Dezember, zum anderen ab Jahresbeginn 2023 mit den Preisbremsen bei Gas und Strom. Dabei wird für ein Verbrauchskontingent von 80 Prozent der Gaspreis für KMU wie für private Haushalte von März 2023 bis April 2024 bei zwölf Cent pro Kilowattstunde gedeckelt, mit Rückwirkung ab Anfang 2023. Eine befristete Gaspreisbremse für ein 70-Prozent-Kontingent mit einem kWh-Preis von sieben Cent für Großverbraucher über 1,5 Millionen kWh wird direkt ab Januar 2023 auch der Industrie helfen.

Hinzu kommt die Strompreisbremse, die ab Januar den Preis Haushalte sowie für kleine Unternehmen bei 40 Cent pro Kilowattstunde deckelt. Dies gilt für den Basisbedarf von 80 Prozent des Vorjahresverbrauchs. Für mittlere und große Unternehmen liegt der Deckel bei 13 Cent für 70 Prozent ihres historischen Verbrauchs. Damit die Motivation zum Energiesparen bleibt, soll genau wie beim Gas über die Kontingente hinaus der Marktpreis greifen.

Kein Grund zur Entspannung

Die Frage wird allerdings sein, wie groß die Entlastung für die Unternehmen damit tatsächlich ist. Denn die Marktpreise haben in jüngster Zeit angesichts der globalen Entwicklungen massiv geschwankt. Für Neukundinnen und Neukunden hat sich der durchschnittliche Preis beim Gas gegenüber dem Höchststand Anfang September bis Anfang Dezember halbiert. Aktuell Mitte Dezember für Neukunden nach Angaben des Vergleichsportals Verivox bei 20,1 Cent je KWh.

Ist all das nun Grund zur Entspannung? Keineswegs, meint Gerd Helmut Diestler, Energieexperte der IHK Düsseldorf. Zum einen hätten sich die Spotmarktpreise etwa für Gas seit ihrem Zwischentief bereits wieder deutlich nach oben bewegt. Auch sei eine Regelungslücke geschlossen worden. Für viele gewerblich Kunden galt bislang, dass die Energieversorger nicht verpflichtet waren, ihnen bei Vertragsende eine Ersatzversorgung anzubieten. „Diese Regelung ist zumindest für Januar und Februar vom Tisch“, so Diestler. Und schließlich sei ist die Preisbremsen, anders als von allen Betroffenen eingefordert sehr bürokratisch ausgefallen. Es sind – auch wegen europarechtlicher Vorgaben – eine Reihe von Melde- und Dokumentationsspflichten sowie Standortauflagen einzuhalten. Da die Preisbremsen im Prinzip für alle gelten, können die Unternehmen ihnen nur in wenigen Ausnahmefällen entkommen.

Zum anderen sei eine langfristige Strategie notwendig. „Wir müssen weg von der Gießkanne hin zu gezielten Maßnahmen, und möglichst bald auch weg von der Subventionierung der Preise hin zu einer starken Ausweitung des Angebotes, das dann auch die Preise dämpft“, fordert Diestler vor allem mit Blick auf die Bereiche Erneuerbare Energien und Flüssiggas.

Immerhin war der erste Anleger für Flüssiggas-Anlieferung in Wilhelmshaven nach rund sechs Monaten Bauzeit Mitte November fertig gestellt, ab Januar sollen schon die ersten LNG-Tanker kommen. Allein über diese Anlage können jährlich zehn Milliarden Kubikmeter Erdgas ins deutsche Netz eingespeist werden, gut elf Prozent des deutschen Jahresverbrauchs.

Hier ist also etwas in Gang gekommen. Beim Ausbau der Erneuerbaren allerdings stockt es weiterhin gewaltig. Diese Tatsache – und die nach wie vor gefährliche Weltlage – schlagen sich entsprechend in der Stimmungslage bei den Unternehmen unserer Region nieder, wie auch die jüngste Konjunkturumfrage der IHKs Düsseldorf und Mittlerer Niederrhein gezeigt hat. Von den rund 850 befragten Betrieben beschrieben zwar noch 28 Prozent ihre Geschäftslage als gut, aber die Erwartungen sind inzwischen so negativ wie seit der globalen Finanzkrise 2008/2009 nicht mehr.

Klare, langfristige Strategien in der Energiekrise

Unternehmen aus der Region halten die kurzfristigen politischen Maßnahmen zwar auch für richtig und wichtig, fordern aber mehr Planungssicherheit durch eine klare langfristige Strategie in der Energiekrise. Die Düsseldorfer Gießerei Dillenberg GmbH & Co. KG beispielsweise hat naturgemäß einen hohen Energiebedarf. Entsprechend groß waren und sind die Sorgen. „Wir hatten einige schlaflose Nächte, denn das ist für uns ein existenzielles Thema“, sagt die geschäftsführende Gesellschafterin Kathrin Grüne über die Zeit im Frühjahr und Sommer, als die Gefahr einer nationalen Gasmangellage noch größer war: „Eine Gießerei ohne Gas zu betreiben ist einfach unmöglich.“

Zumindest teilweise konnte Dillenberg die gestiegenen Kosten durch Reduzierung des Energieverbrauchs auffangen. Dafür wurden teils Anlagen umgebaut, teils Betriebszeiten verkürzt, und das sogar ohne Einschränkung der Produktion. „Das bedeutet vor allem in organisatorischer Hinsicht großen Mehraufwand“, berichtet die Geschäftsführerin. Dass die Politik nun mit Preis- deckeln bei Gas und Strom eingreift, hält sie für den richtigen Ansatz, denn: „Schon früher war es eine Herausforderung, bei den Energiekosten in Deutschland international wettbewerbsfähig zu sein. Wenn die Politik nicht in die Preisspirale eingreifen würde, hätten wir hier ein großes Problem für die gesamte Industrie an unserem Standort.“

Betriebsergebnis unter Druck

Ob diese Maßnahmen ausreichen werden, hält Kathrin Grüne aber für unsicher. „Weitblick ist gefordert“, sagt sie, um eine langfristig stabile Versorgung sicherzustellen. Mit der nur kurzfristigen Verlängerung von AKW- Laufzeiten sei das wohl kaum möglich. Außerdem müsse die Politik anerkennen, dass die Unternehmen durch die hohe Inflation ja auch noch an einer anderen Stelle zusätzlich belastet sind: „Das muss auch Lohnsteigerungen bedeuten, und das ist auch völlig richtig so. Aber eines muss klar sein: Die Situation ist bedrohlich.“ Die infolge der Energiekrise und Energiepreissteigerung an anderen Stellen wachsenden Kosten und Risiken sieht auch Marc-Oliver Köhler, Geschäftsführer des Hildener Autozulieferers Brüninghaus & Drissner, als häufig verkanntes Problem. Das betreffe nicht nur Personalkosten oder die Preisanhebung, etwa bei Lieferanten, sondern auch die Tatsache, dass die Kostenexplosion das gesamte Betriebsergebnis belaste: „Und das bedeutet ein schlechteres Ranking bei den Banken und damit höhere Zinsen für Kredite.“ Die Bedrohung, die Kathrin Grüne schildert, beschreibt Köhler noch drastischer: „In Deutschland werden gerade Millionen Arbeitsplätze in der Industrie vor die Wand gefahren.“ Brüninghaus & Drissner, Spezialist für Metallumformung, ist zwar dank langfristiger Verträge bisher noch von stark steigenden Energiekosten verschont geblieben, aber Neuverträge ab 2023 würden laut Köhler mindestens 300.000 Euro Mehraufwand pro Jahr bedeuten – bei den Preisen, die noch Ende August verzeichnet wurden, wären es eher 600.000 bis 700.000 Euro.

Energiekrise zwingt zu drastischen Schritte

Die steigenden Kosten durch die Energiekrise komplett an die Kunden weiterzugeben, wird auch der Autozulieferer nicht durchsetzen können. Schon im Jahr 2021 hat Brüninghaus & Drissner teils drastische Maßnahmen ergriffen und einige Produkte aus dem Angebot genommen, weil ihre Herstellung schlicht zu energieintensiv war. Außerdem wurden Produktionsabläufe und -zeiten verändert, um Strom vor allem dann zu verbrauchen, wenn er am günstigsten ist. Die Möglichkeiten zur Einsparung sind aber auch bei dem Hildener Unternehmen begrenzt. Köhler fordert deshalb unter anderem, dass die Industrie in gleichem Umfang entlastet wird wie Privatverbraucher, dass Preisbremsen schnell kommen und sehr bald geklärt wird, wie das Ganze abgewickelt wird: „Ich bekomme heute Angebote, die über der geplanten Preisbremse liegen. Wie soll das gehen?“, fragt der Unternehmer, der wie so oft langfristige Perspektiven und mithin Planungssicherheit vermisst. Seine Bilanz: „Als Unternehmerin oder Unternehmer können Sie sich nur noch auf sich selbst verlassen.“ Brüninghaus & Drissner hat sich deshalb dafür entschieden, ab Januar am Spotmarkt selbst Energie einzukaufen. Das birgt Risiken und bringt erhöhten Aufwand mit sich, hält Köhler aber für den am Ende günstigeren Weg.


Weitere Informationen zur Energiekrise im Internetauftritt der IHK Düsseldorf.

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