Text: Gesa van der Meyden, Foto: Katja Illner
Die Wende kam mit Paris. Als Alain Bieber für sein Studium der Allgemeinen Rhetorik, Kommunikations- und Politikwissenschaft, Neuere Deutsche Literatur und Soziologie in die französische Hauptstadt kam, merkte er, dass seine Welt zuvor im beschaulichen Schwaben ein wenig klein gewesen war. „Ich war immer ein bisschen anders als die anderen Kinder, habe mich nie für Autos oder Fußball interessiert. In Paris sind alle meine Kommilitonen ein bis zwei Mal die Woche ins Museum gegangen. Es war eine völlig neue Welt, die mich sofort begeistert hat. Ich habe in der Kunst mein Zuhause gefunden“, sagt der 44-Jährige, der im niederrheinischen Wesel geboren wurde und bei Pforzheim aufwuchs. In diesem Zuhause hat er sich über die Jahre eingerichtet und immer neue Türen aufgestoßen. Kunst ist für ihn eine Ausdrucksform, die keine formalen Grenzen oder gesellschaftlichen Konventionen kennt, die überraschen soll, aufrütteln, amüsieren oder erstaunen, nur bloß nicht langweilen. Er hat nichts gegen Museen mit schweren Gemälden an der Wand, doch schon in Paris waren es die Performance-Kunst, Installationen, Musik und Design, die ihn besonders gepackt haben. „Ich mag Kunst, die disruptiv ist, die Erwartungen bricht. Ich hatte schnell Freunde in der Szene und habe mich bewusst für diesen Lebensstil entschieden. Auch wenn das erstmal hieß, mit wenig Geld auszukommen.“
Kein Elfenbeinturm-Denken
Wenig Geld war für ihn noch lange kein Grund, keine Kunst zu machen oder zu zeigen. „Ich habe in Baumärkten Werke von befreundeten Künstlern ausgestellt, ohne dass der Baumarkt davon wusste“, erzählt der Sohn einer französischen Mutter und eines deutschen Vaters. Wenn er an diese Zeit als „Guerilla- Kurator“ zurückdenkt, muss er lächeln. Für ihn gehörte Kunst schon immer vor allem dahin, wo sie Menschen unmittelbar erreicht. „Das ist es, was Kunst für mich relevant macht. Darum war mir das Elitäre in der Kunst, das Elfenbeinturm-Denken, immer fremd.“ Nach seinem Studium ging Alain Bieber nach Hamburg und schrieb als Redakteur für das Kunstmagazin Art, später wurde er Chefredakteur von Arte Creative, einem Onlinemagazin, Netzwerk und Labor für zeitgenössische Kultur des Kultursenders in Straßburg. Doch die Arbeit im öffentlich-rechtlichen Umfeld mit seinen kleinen und größeren Zwängen empfand er irgendwann als erdrückend. Dann sah er im Jahr 2015 das Jobangebot des NRW-Forums in Düsseldorf, das einen Künstlerischen Direktor und Geschäftsführer suchte. „Ich war inzwischen verheiratet, hatte zwei Kinder. Da Düsseldorf nah an meinem Geburtsort am Niederrhein liegt, fühlte es sich ein wenig wie nach Hause kommen an“, erzählt er.
Alain Bieber
„Düsseldorf ist für mich kulturell die krasseste Stadt Deutschlands“
Viel über die Stadt gewusst habe er aber nicht, abgesehen von den üblichen Klischees: Königsallee, Schickimicki. Doch schon nach wenigen Wochen hatte er einen ganz anderen Eindruck. „Düsseldorf ist für mich kulturell die krasseste Stadt Deutschlands. Die Szene ist total divers und vielfältig: große und kleine Museen, Galerien, private Sammlungen und die Kunstakademie.“ Natürlich gebe es Geld in der Stadt, aber das sei eben nicht alles, was sie ausmache. „Sie hat für mich die perfekte Größe irgendwo zwischen Millionenstadt und Dorf“, sagt Alain Bieber. Im Jahr 2020 wurde das NRW-Forum mit dem Museum Kunstpalast fusioniert, Bieber ist seitdem Künstlerischer Leiter des NRW-Forums und Leiter der Sammlung zeitbasierte Medien am Museum Kunstpalast. Sein künstlerisches Profil umreißt er so. „Wir setzen nicht auf klassische Kunst, sondern auf Popkultur, Digital-Kultur und Fotografie. Wir wollen uns bewusst unterscheiden und zeigen angewandtes Design wie etwa eine Sneaker-Ausstellung, die heute ein wichtiger Teil der Popkultur sind.“
Alain Bieber ist Kurator und Unternehmer
Doch Bieber, der neben seinen beruflichen Stationen immer schon Ausstellungen kuratiert und Kunst- und Medienprojekte betreut hat, arbeitet nur vier Tage die Woche in seinem sympathisch chaotischen Kellerbüro im NRW-Forum. Die anderen drei Tage ist er Unternehmer und entwickelt für die von ihm in diesem Jahr gegründete Produktionsfirma Anna Blume Entertainment zusammen mit freischaffenden Künstlern Filme für Fernsehen, Streaming und Social Media. Es sind künstlerische Werke mit Haltung, wie er sagt, gern auch mal ein wenig abseitig oder albern, aber immer mit Herz für vermeintliche Außenseiter und Distanz zu den vermeintlich Mächtigen. Auf Tiktok erreicht er mit seinem für den WDR produzierten Format „@ohnetitel3000“ mehr als 70.000 Fans, für ARD Kultur hat er das Format „Pixelparty“ über digitale Kunst entwickelt. Alain Bieber ist ein Suchender im besten Sinn, bloß nicht stehen bleiben, bloß immer die neue verrückte Idee finden. Früher in Paris, heute in Düsseldorf. Gut so.
Weitere Beiträge aus der Rubrik „Nahaufnahme“ im Online-Magazin der IHK Düsseldorf