IHK-Magazin: Herr Heusgen, weshalb wird es für Unternehmen immer wichtiger, sich mit geopolitischen Fragestellungen auseinanderzusetzen?
Christoph Heusgen: Die Geopolitik hat immer stärkere Auswirkungen auf jedes einzelne international tätige Unternehmen. Die Zeiten, dass Politik und Wirtschaft parallel nebeneinander herliefen, sind endgültig vorbei. Dabei gab es schon immer Wechselwirkungen. Denken Sie an die Wirtschaftssanktionen gegen Südafrika, die geholfen haben, das Apartheidregime zu Fall zu bringen; oder seit dem Anfang der 2000er Jahre die Sanktionen gegen den Iran. Hier verursachte die Geopolitik Einschränkungen auf das Wirtschaftshandeln. Umgekehrt erhoffte sich die Politik positive Auswirkungen durch zunehmende Wirtschaftstätigkeit, Stichwort: Wandel durch Handel. Dieses im Verhältnis zu Russland immer hoch gehaltene Prinzip hat am 24. Februar 2022 durch den Einmarsch Putins in die Ukraine sein krachen des Ende gefunden. Und immer deutlicher wird es, dass dieses Prinzip auch in Bezug auf China nicht trägt.
IHK-Magazin: Die Weltwirtschaft war gerade dabei, nach der Corona-Pandemie wieder Schwung aufzunehmen, wurde jedoch durch den Angriffskrieg Putins auf die Ukraine jäh ausgebremst. Ist die Globalisierung spätestens mit diesem Krieg zu ihrem Ende gekommen?
Christoph Heusgen: Nein, das hieße ja auch das Ende des Wohlstands für unser Land, der ganz wesentlich auf unsere weltweite wirtschaftliche Verflechtung gründet. Aber wir werden vermehrt mit den Grenzen der Globalisierung konfrontiert. Es wird nicht mehr so leicht wie früher gehen. Die Lieferketten funktionieren nicht mehr reibungslos, auch die Verantwortung für die einzelnen Glieder der Lieferketten steigt für die Unternehmer. Und – wie gesagt – der Einfluss der Geopolitik nimmt zu, mit möglicherweise gravierenden Folgen für das einzelne Unternehmen.
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IHK-Magazin: Mit welchem Szenario im Hinblick auf den weiteren Kriegsverlauf sollten Unternehmen aus Ihrer Sicht planen?
Christoph Heusgen: Eine Rückkehr zu den „guten alten Zeiten” wird es auf längere Zeit nicht geben. Mit dem von ihm begangenen Zivilisationsbruch und den von ihm zu verantwortenden Kriegsverbrechen hat Putin die Tür zu einem auskömmlichen Verhältnis mit Westeuropa und den USA zugeschlagen. Selbst nach einem Waffenstillstand und einem Friedensschluss, von dem wir noch weit entfernt sind, wird es kein „Business as usual“ geben. Die Gefahr, dass Putin nach einer Konsolidierungsphase wieder zuschlägt, wäre viel zu hoch. Es wird in einem solchen Fall bei einem strikten Sanktionsregime bleiben. Nur nach dem Ende der Putindiktatur und einer grundlegenden Umorientierung Russlands kann es einen Neuanfang geben.
IHK-Magazin: Im Hinblick auf China bahnt sich der nächste Konflikt an. Sind die bislang bekannten Eckpunkte einer möglichen China-Strategie angesichts der wirtschaftlichen Vernetzung mit und der in Teilen vorhandenen Abhängigkeit von China nicht naiv?
Christoph Heusgen: Die China-Strategie der Bundesregierung befindet sich noch in der Abstimmung. Unabhängig von dieser Strategie steht fest: China wird unberechenbarer. Mit der Konzentration der Macht auf die Kommunistische Partei und innerhalb der Partei auf eine einzige Person, Xi Jinping, wird die Politik des Landes volatiler. Wir haben es bei der Covid-Politik erlebt, wie Xi von heute auf morgen das Ruder um 180 Grad herumgerissen hat. So kann das auch auf anderen Bereichen erfolgen, und so kann es auch deutschen Unternehmen vor Ort gehen. Deswegen ist jedes Unternehmen gut beraten, seine Abhängigkeiten von China genau zu analysieren. Ich rede keinem Ausstieg aus dem Chinageschäft das Wort, sondern einer breiten Risikostreuung und einer breiten geographischen Diversifizierung.
IHK-Magazin: Bräuchte es nicht vielmehr eine Außenwirtschaftsstrategie, die insgesamt auf autokratische Systeme ausgerichtet ist? Reicht der Blick auf die eigenen Werte hierfür aus?
Christoph Heusgen: Ganz sicher nicht. Wir müssen zu einem realistischen Ansatz kommen. Eine Aussparung autoritär regierter Staaten von unserem Außenwirtschaftshandeln würde zu einer gewaltigen Einschränkung unserer Unternehmen und massiven Wohlstandseinbußen für die Bürger führen. Gegenüber autoritären Staaten gilt, dass die Unternehmen sorgfältig analysieren müssen, wie sicher ihr Engagement ist. Gibt es so etwas wie eine unabhängige Justiz, die vor Willkür und Verstaatlichung schützt? Sie müssen – mit Hilfe der hoffentlich eng zusammen- arbeitenden deutschen Botschaften und Außenhandelskammern – den Markt, die Liefernden und die Kundinnen und Kunden analysieren und die notwendigen Schlussfolgerungen ziehen.
Text: IHK-Redaktion, Fotos: MSC/Kuhlmann
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