Europäisches Parlament der Unternehmen

Rund 700 Delegierte aus der Wirtschaft versammelten sich beim fünften „Europäischen Parlament der Unternehmen“ in Brüssel.

Europäisches Parlament der Unternehmen
Rund 700 Vertreterinnen und Vertreter aus der Wirtschaft waren nach Brüssel gereist.

Text: IHK-Redaktion, Fotos: DIHK, Iris Haidau
Diskussionen, Vorträge und Abstimmungen zu zentralen europäischen Fragen: Eigentlich war im großen Plenarsaal des Europäischen Parlaments alles wie immer. Anstelle der 751 Europa-Abgeordneten füllten am 14. November jedoch Unternehmerinnen und Unternehmer sowie Verbandsmitglieder den Hemicycle. Eurochambres, der Verband der Europäischen Industrie- und Handelskammern, hatte zum sechsten „Europäischen Parlament der Unternehmen“ (EPdU) eingeladen und rund 700 Vertreterinnen und Vertreter aus der Wirtschaft waren dem Ruf gefolgt. Sie bekamen die Chance, die EU aus einer Perspektive zu sehen, die viele nicht einnehmen können. Außerdem traten sie mit den europäischen Politikern in Kontakt.

Die Zukunft des Wirtschaftsstandortes Europa

Dabei ging es um nicht weniger als die Zukunft des Wirtschaftsstandortes Europa. Denn das Europäische Parlament der Unternehmen fand zu einem für die Wirtschaft kritischen Zeitpunkt statt. Europa gerät im globalen Standortwettbewerb immer mehr ins Hintertreffen, Unternehmen wandern zunehmend ab. Die Wirtschaft fordert daher eine EU-Agenda für Wettbewerbsfähigkeit, die die Standortfaktoren für alle Branchen verbessert und die Integration des EU-Binnenmarktes vorantreibt. „Wir brauchen ein starkes Europa, bei dem sich die Wirtschaft aktiv mit einbringen kann“, sagt Eurochambres-Vizepräsidentin Sibylle Thierer, die auch Leiterin der deutschen EPdU-Delegation ist mit Unternehmerinnen und Unternehmern aus den Industrie- und Handelskammern, den Handwerkskammern sowie den Wirtschaftsjunioren war. „Europas Stärke muss für die Unternehmen wieder klar erkennbar sein. Unser Ziel muss weniger Bürokratie und mehr praxistaugliche Lösungen sein. Die Unternehmen brauchen verlässliche und wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen und keine überbordende und kleinteilige Detailregelungen.“

Aktuelle Probleme sieht auch Dr. Bettina Scholz, Prokuristin der Renesas Electronics Europe GmbH und Mitglied der IHK-Vollversammlung, die in Brüssel dabei war. „Zu hohe Steuern, Energiekosten und Fachkräftemangel gefährden die Wirtschaft – und damit unseren Wohlstand in Europa. Die europäische Wirtschaft wird deshalb im internationalen Wettbewerb derzeit unwiederbringlich abgehängt. Ein enger Austausch zwischen Wirtschaft und Politik ist heute folglich wichtiger als jemals zuvor“ sagt sie. Mit ihrem Engagement wolle sie einen individuellen Beitrag leisten, denn sie sei „mit Freude und Überzeugung eine unternehmerisch denkende Europäerin“.

Fachkräfte im Binnenmarkt sichern

Im Fokus standen in diesem Jahr drei Themen, die die Wirtschaft aktuell besonders herausfordern: Fachkräftesicherung, die Energiekrise sowie die Stärkung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit. Die Fachkräftesicherung im Binnenmarkt stand als erstes auf dem Programm des Europäischen Parlaments der Wirtschaft. Aus gutem Grund: Wegen des demografischen Wandels könnte die Zahl der Erwerbstätigen in der EU in den nächsten 30 Jahren um 50 Millionen zurückgehen. Um besser auf die Anforderungen des Arbeitsmarktes reagieren zu können, müssen Instrumente wie Mobilitätsprogramme und die lebenslange berufliche Aus- und Weiterbildung verbessert werden. Hindernisse beispielsweise bei der Anerkennung von Qualifikationen beeinträchtigen nach wie vor das Funktionieren des Binnenmarktes und die Mobilität auf dem Arbeitsmarkt.

Die Energiekrise meistern

Beim zweiten Themenblock stand die Energiekrise im Mittelpunkt. Angesichts noch immer hoher Energiepreise und Unsicherheiten in der Energieversorgung besteht die reale Gefahr einer schleichenden Abwanderung wichtiger Industrien aus Europa. Insbesondere Unternehmen der energieintensiven Branchen erwägen, ihre Standorte ins Ausland zu verlagern. Es droht Wohlstandsverlust und die Gefährdung wichtiger Wertschöpfungsketten in Europa. Es sollte daher vermehrt auf den Ausbau erneuerbarer Energien einschließlich Wasserstoff sowie deren Infrastruktur gesetzt werden, um eine saubere, sichere, und erschwingliche Energieversorgung zu gewährleisten, so der Tenor im Parlament.

Parlament der Unternehmen fordert Öffnung der Weltmärkte

Zu guter Letzt widmet sich eine Sitzung der EU-Handelspolitik. Hier liegen große Potenziale, internationale Märkte für europäische Waren, Dienstleistungen und Investitionen zu öffnen und Handelshemmnisse abzubauen. Insbesondere Abkommen mit Lateinamerika wie das Mecorsur-Abkommen und der Indopazifikregion stehen derzeit im Fokus. Dabei sind den Unternehmerinnen und Unternehmern mittelstandsfreundliche Regelungen etwa zu Ursprungsregeln wichtig, damit gerade kleine und mittelständische Firmen die Vorteile der Abkommen auch nutzen können.

Europäisches Parlament der Unternehmen
Mit der Abstimmung bezogen die Unternehmerinnen und Unternehmer Position zu wichtigen Fragen.

Wenige Monate vor der Europawahl im Juni 2024 vermittelt das EPdU den EU-Entscheidungsträgern, was die Unternehmerinnen und Unternehmer von der Europapolitik erwarten. Die Veranstaltung endete mit einer Abstimmung, bei der sich die „Unternehmer-Parlamentarierinnen und -Parlamentarier“ zu entscheidenden Fragen positionieren konnten. Dabei zeigte sich, dass die Teilnehmenden, obwohl sie aus sehr unterschiedlichen Ländern Europas kommen, doch dieselben Probleme und Forderungen an die europäische Politik haben.

Abstimmungsergebnisse im Europäischen Parlament der Unternehmen

88 Prozent gaben an, es sei schwieriger als noch vor fünf Jahren, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit den richtigen Fähigkeiten zu rekrutieren.
87 Prozent glauben, dass die ehrgeizigen Ziele des europäischen Green Deal zu härteren Wettbewerbsbedingungen für EU-Unternehmen auf dem Weltmarkt führen werden.
97 Prozent waren der Meinung, dass sich geopolitische Spannungen negativ auf das Funktionieren ihrer Lieferketten auswirken.
93 Prozent finden, der Binnenmarkt sei nicht ausreichend integriert, um es ihrem Unternehmen zu ermöglichen, frei zu arbeiten und weltweit konkurrenzfähig zu sein. Die Ergebnisse der Konferenz fließen auch in die weitere Arbeit der europäischen Industrie- und Handelskammern in Brüssel ein.