Cretschmar Cargo: Zukunft ist Herkunft

Das Logistikunternehmen setzt heute statt auf Stückgut-Geschäft unter anderem auf Projekt- und Transportlogistik.

Cretschmar Cargo
Dicht am Kunden: Matthias Stich, CEO von Cretschmar Cargo (links), mit Christian Bergmann, Prokurist der Firma Teekanne, vor dem Rohstofflager des Unternehmens.

Text: Christopher Trinks, Foto: Andreas Endermann
Wenn CEO Matthias Stich den Konferenzraum im Bürogebäude der L.W. Cretschmar GmbH & Co. KG an der Reisholzer Bahnstraße in Düsseldorf betritt, begegnen ihm automatisch die strengen Blicke seiner in Porträts gemalten Vorgänger. Insbesondere die von Leopold Wilhelm Cretschmar, der die Firma einst als „Speditions- und Commissionsgeschäft“ im Jahre 1836 aus der Rheintaufe hob. Dort, wo am Parlamentsufer heute noch der alte Rheinkran vom damaligen Boom der Rheinschifffahrt zeugt, wuchs das Unternehmen zu einer prosperierenden Dampfschifffahrtsgesellschaft heran. Jahrzehnte danach war es die Familie Espey, die Cretschmar über Generationen hinweg zu einem Universalunternehmen für die verladende Wirtschaft mit Transporten per Schiff, Bahn, LKW und Flugzeug ausbaute. Begibt sich der heutige Geschäftsführer jedoch in sein benachbartes Büro, hat er einen Ausschnitt der neuen Gegenwart und Zukunft seiner Firma quasi ständig im Blick. Rund um die Uhr sorgen einige Dutzend Cretschmar-Mitarbeitende im nebenan gelegenen Gefahrenstofflager der Firma Henkel dafür, dass deren Waren niemals stillstehen und Lagerflächen möglichst gefüllt bleiben.

Mit Erfahrung punkten

„Wir schaffen Freiräume, damit sich unsere Kunden vollständig auf ihre Kernkompetenz konzentrieren können: die Produktion“, sagt Stich. Nach der Aufgabe des Stückgut-Geschäfts gehören die Kontrakt-, Lager-, Projekt- und Transportlogistik heute zu den wegweisenden Standbeinen, auf denen die Zukunft des 187 Jahre alten Familienunternehmens aufbaut. Drei Jahre ist es her, seit Cretschmar diesen tiefgreifenden Wandlungsprozess eröffnete. Ziel war es, die jahrzehntelang erprobten Stärken in Transport und Logistik für neue Geschäftsfelder zu wahren und sich gleichzeitig vom defizitär gewordenen Speditionswesen abzuwenden. Nach der Trennung vom südeuropäischen Transportgeschäft und dem Verkauf der Reisholzer Stückgut-Zentrale 2020 zeigte sich Hauptgesellschafter Kay Espey offen für Veränderungen. Eine neue Corporate Identity musste gefunden werden, bei der auch die Expertise langjähriger, teils über 50 Jahre beschäftigter Mitarbeitenden gefragt war.

„Teilweise ziehen ganze Firmen über uns um“

Matthias Stich, Cretschmar Cargo

Unter Beratung der Kommunikationsagentur Marktplan wurde schließlich eine neue Marke auf tradierten Säulen errichtet. „Gerade in den Bereichen Zollabwicklung, Lebensmittel-, IT-, Temperatur- und Gefahrgut- Logistik bringen wir eine unglaubliche Erfahrung mit“, sagt Stich. „Unsere Zukunft ist diese Herkunft.“ Inzwischen ist das Unternehmen nicht nur bei der Warenabwicklung direkt im „Wohnzimmer“ ihrer Kunden tätig. Täglich sind Cretschmar-Mitarbeitende im Neusser Hafen damit beschäftigt, duftende, aus Asien kommende Teeblätter zollgerecht und säckeweise zur Produktion von Teekanne nach Heerdt zu schaffen. Noch produktionsnäher ist das Unternehmen im innerbetrieblichen Warenverkehr bei der BASF Polyurethanes GmbH, Lemförde, nahe Osnabrück eingebunden. Dort bringt unter anderem die störungsfreie Entladung chemischer Gefahrstoffe ganz andere Herausforderungen mit sich.

Cretschmar Cargo bündelt Kompetenzen

Und auch, wenn kaum noch ein LKW unter Cretschmars eigener Fahne fährt – seine Wurzeln im Speditionswesen hat das Unternehmen nicht vergessen. Noch immer ist die Luftfracht- Verteilung am Düsseldorfer Flughafen oder die Seefracht- Kooperation mit NAVIS in Hamburg ein Kerngeschäft, mit dem Cretschmar Container um die ganze Welt verschickt. Hier spielt auch die Messelogistik hinein, die inzwischen zur Projektlogistik erweitert wurde. „Teilweise ziehen ganze Firmen über uns um“, sagt Stich und beschreibt lange Pipeline-Rohre, die bereits per Antonov nach Afrika transportiert wurden. Mit dem Night Star Express ist Cretschmar zudem an einem Joint-Venture im B2B-Bereich beteiligt, welches Sendungen abholt und nachts per Sprinter überall ausliefert. „Bleibt auf einem Acker der Mähdrescher liegen, können wir die Ersatzteile zum nächsten Tag bis ans Feld liefern.“

Cretschmar Cargo
• Mehr als 400 Beschäftigte derzeit
• 17 Standorte im europäischen In- und Ausland
• Rund 60 Millionen Euro Jahresumsatz
• Über neun Millionen Sendungen pro Jahr

Dem Unternehmen gelang es, seine Kompetenzen zusammenzuführen und eigene Leerstellen wieder zu füllen. Das zeigt auch das Beispiel eines jahrelang immer weniger genutzten Verteilzentrums im Stuttgarter Hafen, das eigentlich abgestoßen werden sollte. Stattdessen warb man proaktiv um neue Kunden und Partner, die nach Fläche und Logistikverwaltung suchten – heute gehört der Standort mit vier Millionen jährlichen Paketen zu den größten, deutschen Verteilzentren eines großen internationalen Versandhändlers. Sorgenfalten bereitet Stich jedoch der wachsende Personalmangel in der Wirtschaft. „Wir haben nicht nur ein demographisches Problem“, sagt er. Obwohl die Logistikbranche inzwischen erhebliche Arbeitsschutzbedingungen biete, erfahre die körperlich-physische Arbeit eine immense soziale Abwertung gegenüber anderen Branchen. Dabei biete eine unternehmensnahe Ausbildung heute oft bessere Perspektiven als ein Studium. „Hier müssen wir gesamtgesellschaftlich umdenken und bereit sein, harte Arbeit als wichtigen Faktor wieder mehr anzuerkennen“, sagt Stich und nimmt dabei auch die Politik in die Pflicht.


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