Text: Christian Herrendorf, Illustration: Konrad Laurids Pesch; Fotos: BR-AIN; Altstadt-Marketing GmbH
Pro: Durch Corona kommt die Verschiebung mit Macht.
Als ich vor vier Jahren die Homepage meines neuen Unternehmens gestaltete, schrieb ich oben auf die Seite ein Zitat aus Bob Dylans Song: „for the times, they are a-Changin“. Was damals ein Gefühl war, ist seit gut einem Jahr Gewissheit. Wir erleben mit der Digitalisierung einen Wandel, der dazu führt, dass Ort und Zeit nicht mehr synchronisiert werden müssen. Städte sind ursprünglich so aufgebaut und gewachsen, dass sie für uns Menschen dienlich waren. Arbeiten, Wohnen und Freizeit/Einkaufen waren getrennt voneinander. Das ist nun nicht mehr erforderlich. Die ersten physischen Zeichen der Digitalisierung waren die Transporter der Paketdienste, dann verschwanden Geschäfte. Den Handel, wie er sich seit 1880 mit dem Aufkommen der Warenhäuser entwickelt hat, braucht niemand mehr.
Es ist ein Zufall, dass die Pandemie mit der Digitalisierung zusammenfällt, aber durch Corona kommt die Verschiebung mit Macht. Wir erleben eine Metamorphose und befinden uns im Verpuppungszustand. Diese Phase tut weh – auch weil alle in unterschiedlichen Geschwindigkeiten agieren. Verwaltungen brauchen mehrere Jahre, um eine Nutzungsänderung umzusetzen, in dieser Zeit haben sich die Rahmenbedingungen jedoch so gravierend verschoben, dass die neuen Möglichkeiten zu spät kommen. Immobilieneigentümer brauchen oft auch länger, um einzusehen, dass sie die Mieter und die Mieten früherer Jahre nicht mehr bekommen und sich umstellen müssen. Händler und Gastronomen sind diejenigen, die am schnellsten reagieren könnten, leider aber oft zu passiv bleiben. Sie müssen Multichannel denken und erfindungsreich sein. Ein Beispiel: Wenn in einem Café Menschen Kaffee kaufen und dann dort am Laptop arbeiten, könnten die Inhaber Co-Working-Flächen entwickeln und zur Monatsmiete den Kaffee kostenlos anbieten. Die Menschen kaufen, wo es am günstigsten und am einfachsten ist. Das mag nicht nachhaltig sein, aber der einzige Grund, das nicht zu tun, wäre die Einsicht, welche Folgen das vor Ort hat. Und in dieser Hinsicht hat sich eine weitere Gewissheit ergeben: Man sieht das Licht erst, wenn es aus ist.
Contra: Es gibt Dinge, die möchte man anschauen, an- und ausprobieren.
Vor der Pandemie hatten wir in Düsseldorf eine sehr gute Entwicklung, weil man hier die Dinge nicht sich selbst überlässt, sondern sie aktiv gestaltet. Hier wird in Infrastruktur und Mobilität investiert. Die Pandemie hat uns alle wie ein Schlag getroffen.
Im Frühjahr 2020 haben fast alle noch gehofft, dass die Krise nur kurz andauert, da konnte sich kaum jemand vorstellen, dass es zum Beispiel keinen Weihnachtsmarkt geben würde. Inzwischen sind die Menschen optimistisch formuliert genervt, weil es keinen Endpunkt gibt. Die Lage hat sich für viele verschlechtert, es hängt nun wesentlich von der noch vorhandenen Liquidität ab, wie lange man durchhält. Wir werden leider erleben, dass Geschäfte und Lokale aufgeben und Leerstände sichtbar werden.
Ich glaube dennoch nicht an ein Szenario, in dem sich die grundsätzliche Struktur der Stadt verändert, in dem ganze Einkaufsstraßen verschwinden. Dafür gibt es aus meiner Sicht zwei wesentliche Gründe: Zum einen die eingangs beschriebene sehr gute Entwicklung vor der Pandemie. Zum anderen vermissen die Menschen Sozialkontakte. Wir haben aktuell keinen Versorgungsengpass, aber einen Mangel an Austausch. Die Menschen vermissen es, in die Stadt zu fahren, etwas anzuprobieren, Leute zu treffen, essen zu gehen. Ja, es gibt Produkte, da werden wir auch nach der Pandemie im Online-Handel bleiben, zum Beispiel, wenn man ein Verlängerungskabel kauft. Aber es gibt auch Dinge, die möchte man anschauen, an- und ausprobieren. Der Online-Handel wird nach der Krise stärker sein als vorher, aber nicht so stark wie jetzt. Und er wird ganz, ganz sicher nicht den Innenstadt-Handel ablösen. Die Innenstadt bleibt der zentrale Ort zum Shoppen und Ausgehen. Man muss sich allerdings bewusst machen, dass die Menschen nicht in die Stadt kommen, um sich zu versorgen, sondern weil sie etwas erleben möchten. Dieses Einkaufserlebnis bekommt nach der Pandemie eine noch viel höhere Bedeutung. Dafür müssen wir die Rahmenbedingungen schaffen – auch und gerade im Zusammenspiel mit Gastronomie, Kultur und der Stadt. Wir brauchen eine organisierte Interessenbündelung als Treiber. Auch nach der Pandemie darf man die Dinge nicht sich selbst überlassen.
Über dieses Thema haben wir auch im IHK Quarterly 01/2021 berichtet.
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